Interview mit Erhard Dietl zu „Ein Vater wie meiner“

....zum 70. GEBURTSTAG

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Sehr geehrter Herr Erhard Dietl,

in Ihrem Buch „Ein Vater wie meiner“ teilen Sie sehr private Einblicke in Ihre Herkunftsfamilie. Wodurch und wann kam Ihnen erstmals der Gedanke, dass Sie etwas Autobiografisches schreiben könnten und was führte dazu, das Buch tatsächlich zu schreiben?

Erhard Dietl: Vor Jahren hatte meine Mutter einige ihrer Erinnerungen notiert, auch Gedanken über meinen Vater. Und ich selbst hatte, als mein Vater verstoben war, eine kurze Geschichte über seinen unerwarteten Tod und die Tage danach verfasst.

Immer wenn ich jemandem aus dem Leben meines schwierigen Vaters erzählte, merkte ich, dass seine Geschichte anscheinend interessant war, und nicht nur für uns Familienangehörige. Die Coronazeit hab ich dann genutzt, tiefer in meine Vergangenheit einzutauchen und alles aufzuschreiben.

Die Redaktion:  In Ihrem Buch kommen Sie, aber auch Ihr Vater durch Tagebuchaufzeichnungen und Ihre Mutter durch eine besprochene Kassette zu Wort. Dadurch wirken Ihre Erinnerungen sehr abwechslungsreich und lebendig. War das von Anfang an Ihr Plan?

Erhard Dietl: Das hat sich für den Text schnell als sinnvoll erwiesen. Meiner Mutter wollte ich nicht alles in den Mund legen, sie sollte selber zu Wort kommen. Einiges hatte sie ja tatsächlich wörtlich so gesagt.

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Die Redaktion: Sie schreiben am Ende Ihres Buches, Sie haben Ihren privaten Frieden mit Ihrem Vater geschlossen. War dieses Buch für Sie eine Art Befreiung?

Erhard Dietl: Ja, sicher war das befreiend. Wenn man lange an einem so privaten Text sitzt, ist das immer auch ein Verarbeiten, ein Überwinden und vielleicht sogar ein Befreiungsschlag. Ich habe danach aufgehört, irgendjemandem Geschichten über meinen Vater zu erzählen.

Die Redaktion:  Ihr Vater scheint eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde, eine multiple Persönlichkeit gewesen zu sein. Bei Ihnen zu Hause war er aufbrausend, ungeduldig und gewalttätig, hat Sie und Ihre Schwester misshandelt, der Sohn seiner Geliebten beschreibt Ihren Vater als geduldig und liebevoll. Ist das nicht furchtbar ungerecht? Wie haben Sie damit Frieden finden können?

Erhard Dietl: Natürlich ist das nicht gerecht, ich hab erstmal ziemlich schlucken müssen, als ich das gehört habe. Letztendlich aber liegt das alles weit zurück und ich habe inzwischen die nötige Distanz dazu. In einem Lied hab ich geschrieben: Die Zeit ist wie der weiche Schnee. Und der deckt doch vieles zu, mit seiner Zartheit und seiner weißen Pracht.

Die Redaktion:  Am Anfang des Buches kommt immer wieder vor, dass Ihr Vater wünscht, aus Ihnen möge ein richtiger Bub werden. Wie hatte denn aus Sicht Ihres Vaters ein richtiger Bub zu sein? Konnten Sie Ihren Vater in dieser Hinsicht zufriedenstellen?

Erhard Dietl: Ein richtiger Bub sollte vor allem männlich, stark, zielstrebig, pflichtbewusst sein, und er beklagt sich nicht. Vieles davon konnte mein Vater selbst überhaupt nicht erfüllen, das hat er auf mich projiziert, das sollte ich für ihn übernehmen.

Erst im Alter ist er milder geworden, da hat er auch mich viel respektvoller behandelt.

Die Redaktion:  Sind die Olchis eigentlich ein Gegenentwurf zu einem „richtigen Bub“ bzw. ist die Olchi-Familie ein fantastischer Gegenentwurf zu Ihrer Herkunftsfamilie?

Erhard Dietl: Die Olchis haben ein intaktes Familienleben. Sie sind wunderlich, freiheitsliebend, abenteuerlustig und stark, ja in gewissem Sinn unangreifbar. Aber sie haben es auch gern gemütlich und alle fühlen sich wohl in der Geborgenheit dieser Familie. Wenn Sie so wollen, hab ich mir damit tatsächlich meine Traumfamilie erschaffen.

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Die Redaktion:  Obwohl in Ihrem Buch der Beginn der Ehe Ihrer Eltern beschrieben wird, taucht das Wort Leidenschaft erst im Zusammenhang mit Mahlzeiten auf.

Es heißt „Er war schon immer ein leidenschaftlicher Esser gewesen.“ und „Gewaltige Mengen Schweinernes konnte mein Vater in sich hineinschaufeln…“ Glauben Sie Ihre Mutter hat Ihren Vater auf Grund Ihrer Kochkünste an sich binden können? Was haben Ihre Eltern geteilt? Was hat sie miteinander verbunden?

Erhard Dietl: Die Kochkünste waren sicher ein wichtiger Punkt. Ebenso die Loyalität, Einfachheit, Klarheit und Treue meiner Mutter. Er wiederum hat sie beeindruckt durch seine Sprachgewandtheit, seine Leutseligkeit und sein großes Wissen. Das alles schien ja erstmal für eine steile Karriere zu sprechen und versprach meiner Mutter Anfang der 50er Jahre ein spannendes Leben.

Die Redaktion: Sie schreiben, dass Sie und Ihre Schwester Ihr Leben einer Inkonsequenz Ihres Vaters verdanken. Ihr Vater war in der Hochzeitsnacht ehrlich gewesen und hätte zu Ihrer Mutter gesagt, die Ehe ist nichts für ihn. Am besten sollten sie sich gleich wieder scheiden lassen.

Glauben Sie, dass Sie und Ihre Schwester Ihrem Vater ständig seine eigene Inkonsequenz und Schwäche vor Augen geführt haben, dass er alleine gar nicht überlebensfähig war und aus Feigheit bei Ihrer Mutter geblieben ist?

Erhard Dietl: Das ist natürlich ein kluger Gedanke. Theoretisch kann es sich manchmal so angefühlt haben für ihn, das müsste uns eine Psychologin erklären. Er selbst hätte das aber sicher nie zugegeben oder so ehrlich hinterfragt.

Die Redaktion: Es kommt immer wieder im Buch vor, dass Sie und Ihre Schwester vergebens versuchen ihrem Vater zu gefallen. Wie war der Zusammenhalt mit Ihrer Schwester in Ihrer Kindheit?

Erhard Dietl: Es war eher ein ganz normales Bruder-Schwester Verhältnis. Wobei ich, was meinen Vater angeht, harmoniebedürftiger war und mehr auszugleichen versuchte. Ich glaube, meine Schwester hatte noch mehr Streitereien mit ihm und hat ihm Vieles bis heute nicht verziehen.

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Die Redaktion: Im Skiurlaub beschreiben Sie dann eine Szene, wie Ihr Hund Nicki begraben werden soll. Ihr Vater lässt Sie und Ihre Schwester an einer entlegenen Stelle in der Dunkelheit alleine zurück, um eine Hacke zu holen. Sie beide trauen ihm zu, dass er nicht wieder kommt, um sie loszuwerden.

Das Sie so etwas gespürt haben, tut einem beim Lesen in der Seele weh. Glauben Sie, Ihr Vater war ernsthaft versucht Sie erfrieren zu erlassen?

Erhard Dietl: Natürlich nicht. Aber in unserer Kinderfantasie hätten wir ihm das durchaus zugetraut. Uns in Nacht und Kälte allein zu lassen, war nur gedankenlos gewesen von ihm.

Die Redaktion: Sie haben es sich ja manchmal sogar heimlich gewünscht, dass ihr Vater verschwinden würde, damit ihre Mutter einen netteren Partner an die Seite bekommen könnte. War ihr Vater auch gewalttätig gegen ihre Mutter?

Erhard Dietl: Eine gute Frage. Manchmal glaube ich, mich schemenhaft an eine einzige solche Szene erinnern zu können. Ich glaube aber nicht, dass er sie geschlagen hat, es wäre unerträglich für uns Kinder gewesen und ich würde mich mit Sicherheit auch daran erinnern.

Die Redaktion: Sie haben beschrieben, dass sie ganz überrascht waren, dass sich ihr Vater Ihre Diplomarbeit angesehen hat, die an der Kunstakademie ausgestellt wurde. Auch hat er Sie für Ihre Sprache und die Illustrationen in Ihren Kinderbüchern gelobt. War Lob von Ihrem Vater so ein seltenes

Gut? War er nicht stolz auf Ihren Erfolg und ihre finanzielle Unabhängigkeit?

Erhard Dietl: Zufriedenheit mit mir oder meiner Schwester hat mein Vater nicht geäußert, auch Lob gab es keines, und über Finanzielles wurde sowieso nie geredet. Und wenn dann doch mal ein positiver Kommentar gekommen ist, hatte der so viel Gewicht, dass ich ihn mir gemerkt habe bis
heute, wie man ja jetzt sehen kann.

Die Redaktion: Sie erzählen in ihrem Buch, dass Sie die Olchis eher nebenbei erfunden haben. Erst gab es ein Bild, dann einen Namen und bestimmt gab es ein Gefühl dazu, was sie bei dem Bild der sympathischen Grünlinge empfunden haben, was sie vermitteln. Mögen Sie uns das verraten?

Erhard Dietl: Daran kann ich mich nicht erinnern, weiß nur, dass ich sofort mit ganzem Herzen an diese Figuren geglaubt habe. Deshalb auch der selbstbewusste Titel des ersten Bandes „Die Olchis sind da!“

Die Redaktion: Wenn Sie Geschichten erfinden, ist dann immer zuerst ein Bild da? Wie ist es bei Ihren Liedern? Kommt erst die Melodie und dann der Text? Oder ist es auch mal umgekehrt?

Erhard Dietl: Ich bin ein optischer Mensch und denke tatsächlich sehr in Bildern.

Was ich ebenfalls sehr mag, sind Dialoge, darum schreib ich gerne Theaterstücke. Bei den Liedern hab ich die Gitarre in der Hand, schreibe, singe und klampfe gleichzeitig, korrigiere und rühre dabei ständig herum und wenn ich Glück habe, kommt am Ende ein brauchbarer Song heraus. Vieles verschwindet aber auch in den Tiefen meines Computers.

Die Redaktion: Die Olchis sind seit 33 Jahren ein Dauerbrenner bei den Kindern! Hatten Sie sich diesen sensationellen Erfolg der Olchis je erträumt?

Erhard Dietl: Erträumt habe ich mir das natürlich schon, aber auch immer daran geglaubt. Und ein bisschen Fleiß steckt da ja auch dahinter. Dass sich so viele Kinder tatsächlich immer noch darüber freuen, ist schon wunderbar, bzw. krötig, wie die Olchis sagen.

Die Redaktion: Sie feiern in diesem Jahr Ihren 70. Geburtstag. Haben Sie Ziele und Träume, die Sie erreichen und erleben wollen?

Erhard Dietl: Ein paar gute Texte, ein paar Theaterstücke, ein wenig mehr Musik, vielleicht mal wieder auf einer Bühne. Und dass es mir auch weiterhin gelingt, die vielen positiven Dinge des Lebens zu sehen, zu würdigen und zu genießen, was ja auch nicht immer einfach ist.

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Die Redaktion: Fühlen Sie sich weiser als mit 35? Haben Sie ein Lebensmotto?

Erhard Dietl: Über Weisheit reden wir in zwanzig Jahren nochmal. Noch immer kaufe ich mir ein Lotterielos am Kiosk, obwohl ich sowieso nie gewinne, weise ist das nicht.

Und wenn ich ein Lebensmotto brauche, schlage ich meinen Kalender auf, da steht auf jeder Seite ein tolles.

Die Redaktion: Sie schreiben am Ende Ihres Buches, dass Sie glücklich in Ihrem Beruf geworden sind, dass Sie das kreative Arbeiten, die Abwechslung und die Vielfalt der Möglichkeiten und Aufgaben lieben, und dass Sie das von Ihrem Vater haben. Ist Ihr Vater für Sie heute mehr Fluch oder Segen?

Erhard Dietl: Diese Frage stelle ich mir nicht. Es ist, wie es ist. Und ich kann ihn so annehmen, wie er gewesen ist. Ich habe alles über ihn aufgeschrieben, verurteilen möchte ich ihn nicht. Und wenn ich die Kreativität von ihm geerbt haben sollte, umso besser.

Die Redaktion: Sie schreiben ebenfalls am Ende Ihres Buches: Langeweile ist ein guter Nährboden für Kreativität. Was können Sie jungen Autoren oder denen, die es mal werden wollen, raten?

Erhard Dietl: Schreiben ist viel Arbeit, macht manchmal dicke Beine und verschlingt eine Menge Lebenszeit. Vielleicht besser in die Sonne legen. Wenn es aber gar nicht anders geht: an sich glauben, mutig, fleißig und selbstkritisch sein. Aber jeder junge Autor/in weiß das sowieso schon längst.

Die Redaktion: „Ein Vater wie meiner“ ist ihr erstes autobiografisches Buch. Sind Sie auf den Geschmack gekommen und könnten sich vorstellen, noch mehr Geschichten aus Ihrem Leben zu erzählen?

Erhard Dietl: Ich bin bereits dran!

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