Interview mit Cornelia Funke zu Tintenwelt 4 – DIE FARBE DER RACHE

Bild Dressler ©Michael Orth

16 Jahre nach »Tintentod« und 20 Jahre nach »Tintenherz« erscheint jetzt ein weiterer Band der Tintenwelt-Reihe. Warum hast du nach so langer Zeit einen weiteren Band der Tintenwelt-Reihe geschrieben?

Cornelia Funke: Ich kann nie vorhersagen, ob eine Geschichte irgendwann weiter erzählt werden will oder nicht. Das kommt immer wieder als Überraschung. Ich wollte ja auch eigentlich nur ein einziges Tintenbuch schreiben.

Zu diesem hat mich einiges gebracht: die Tatsache, dass Orpheus damals entkam, obwohl ich ihm eigentlich ein finsteres Ende schreiben wollte.

Meine Arbeit als Illustratorin und die Frage, ob Bilder mächtiger sind als Worte, und meine Liebe zum Schwarzen Prinzen, über den ich immer schon mehr erfahren wollte.

Wie war es für dich, nach all den Jahren für ein weiteres großes Roman-Abenteuer in die Tintenwelt einzutauchen?

Cornelia Funke: Als wäre ich nie fort gewesen. Das war ein ganz wunderbares Gefühl. Bei den neuen Drachenreiter-Abenteuern ging es mir genauso – als würde man sehr gute alte Freunde wieder treffen. Das geht einem an wirkichen Orten ja auch so, wenn man lange an ihnen gelebt hat.

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Sie bleiben immer ein Zuhause. Aber wenn man sie erneut besucht, macht es auch großen Spaß, sie neu zu entdecken und neue Straßen zu erforschen.

Das habe ich mit diesem Buch getan.

Wir begegnen fünf Jahre nach der Handlung in »Tintentod« all den bekannten Charakteren wieder – Meggie, Mo, Staubfinger, Orpheus usw. – inwieweit waren die Figuren für dich in den letzten Jahren präsent?

Cornelia Funke: Man lebt ja wesentlich länger in seinen aufgeschriebenen Welten als die Leser. Ich verbringe Jahre in ihnen, und so ganz verlasse ich sie eigentlich nie. Sie verweben sich aufs Wunderbarste mit dem eigenen Leben, wie Türen, durch die man jederzeit treten kann.

Gibt es Figuren aus der Tintenwelt, die dir besonders nahestehen bzw. auf die du dich am meisten gefreut hast, ihnen nun beim Schreiben wieder zu begegnen?

Cornelia Funke: Ja, der Schwarze Prinz war schon immer eine Figur, die ich besser kennenlernen wollte. Ich habe seit vielen Jahren ein Notizbuch in meinem Schreibzimmer liegen, auf dem steht: Staubfinger und der Schwarze Prinz. Ich wollte zuerst ihre Jugend miteinander beschreiben.

Vielleicht tue ich das eines Tages. Aber nun musste erstmal diese Geschichte erzählt werden.

In diesem vierten Buch ist Staubfinger die zentrale Figur, warum?

Cornelia Funke: Für mich sind Staubfinger und Nyame, der Schwarze Prinz die beiden zentralen Figuren. Ihre Freundschaft ist das Herz der Geschichte. Was Staubfinger betrifft – es war immer seltsam, dass er in mancher Hinsicht zwar eine Nebenfigur war, und doch im Herzen der Leser immer der Charakter, der die meiste Liebe geschenkt bekam.

Deshalb wollte ich schon lange eine Geschichte aus seiner Sicht erzählen. In den ersten drei Büchern passiert das ja bisweilen, aber sie erzählen dennoch zuallererst die Geschichte von Meggie und Mo.

Erstmals erfahren wir die »echten« Namen von Staubfinger und seinem besten Freund, dem Schwarzen Prinzen: Nardo und Nyame.

Was hat dich dazu bewogen? Haben sich die beiden dadurch verändert bzw. dein Verhältnis zu den beiden Figuren?

Cornelia Funke: Staubfingers Vornamen kenne ich schon lange, auch wenn ich ihn nie verraten habe. Aber ja, sobald ich Nyames Namen erfuhr, stand er plötzlich ganz dicht vor mir und war nicht länger nur der edle Held und Anführer aus den anderen Büchern.

Diese Figur war mir immer sehr nah, und ich denke, man spürt das´sogar in den Büchern, in denen er nur als Nebenfigur vorkommt. Zum Glück. Sonst würde man mir vielleicht unterstellen, dass ich einen schwarzen Helden wähle, weil das gerade dem Zeitgeist entspricht.

Und das würde ich wirklich als Beleidigung des Schwarzen Prinzen verstehen.

Mein Eindruck ist, dass dir eine neue Figur, Lilia, besonders am Herzen liegt. Sie steht für die Stärke und Klugheit der Jugend und man könnte sie vielleicht als Pflanzenflüsterin bezeichnen. Was verbindest du mit Lilia?

Cornelia Funke: Ja, Lilia war die größte und am wenigsten erwartete Überraschung in dieser Geschichte. Als ich begann, mich in das Labyrinth zu begeben, das jede Geschichte für mich ist – voller Rätsel, Irrwege, Geheimnisse – dachte ich, das Thema der Geschichte sei die Frage, ob das Bild oder das Wort mächtiger ist. Ein Thema ist das immer noch, und die Antwort hat mich sehr überrascht.

Aber je tiefer ich mich in das Labyrinth dieses Buches hineinschrieb, desto mehr zeigte sich ein anderes Thema. Vielleicht ist es inspiriert von der Tatsache, dass ich hier von so vielen jungen Künstler*-innen umgeben bin und ich mir sehr bewusst bin, wie schwer die Welt wiegt, die wir ihnen übergeben. Als ich jung war, hatte ich noch den Glauben, dass ich diese Welt verbessern und verändern kann.

Die Welt, in der man heute jung ist, fällt auseinander, zerbricht und erstickt. Ich habe das Thema Jugend nicht bewusst in die Geschichte eingeführt.

Die Geschichte entschied sich, Jugend zum Thema zu machen – und den Glauben, dass – falls diese Welt zu retten ist – die Hoffnung von den Jungen kommen wird, hoffentlich unterstützt von den Alten.

Was Lilia betrifft – ja, Pflanzenflüsterin würde sie sich vermutlich gern nennen. Ich war so froh, eine Heldin wie sie zu haben, die nicht mit den üblichen Waffen daherkommt und Gewalt gegen die Gewalt der Welt stellt. Lilia versteht die natürliche Welt und hat deshalb ihre Kraft. Sie ist am Wachsen interessiert, am Blühen und Frucht tragen. Ihre Widersacherin sucht auch in der natürlichen Welt nach Wissen, aber sie hat andere Ziele.

Dass unser Hunger nach Wissen auch etwas Furchtbares sein kann, auch wenn wir ihn allzu gern als etwas sehr Positives darstellen, klingt bei der
Schattenleserin an.

Wie hat sich dein Schreibprozess und auch dein Schreibstil im Vergleich zu den vorherigen Büchern der Serie verändert und weiterentwickelt?

Cornelia Funke: Das werden die Leser vermutlich besser beschreiben können als ich. Die größte Veränderung ist vermutlich die, dass die Geschichtenerzählerin inzwischen fast 65 Jahre alt ist und viel erlebt hat, seit sie das letzte Buch geschrieben hat.

Außerdem hoffe ich natürlich, dass ich in den letzten Jahren noch einiges übers Schreiben gelernt habe.

Du hast »Die Farbe der Rache« in Malibu begonnen zu schreiben und in Italien beendet. Hat sich die Geschichte in Italien noch malverändert?

Cornelia Funke: Mein Umzug nach Italien hat es natürlich leichter gemacht, die Farbe der Rache zu schreiben. Schließlich lebe ich an einem Ort, der sehr an Ombra erinnert.

Die Beschreibungen sind dadurch hoffentlich noch etwas besser und echter geworden.

In den ersten drei Bänden steht die Magie des Lesens und die Kraft des geschriebenen Wortes im Mittelpunkt. Im neuen Buch geht es auch um die Bedeutung von Bildern – als Geschichtenerzählerin und Illustratorin kannst du beides erschaffen. Was ist in deinen Augen bedeutender?

Cornelia Funke: Bedeutender … Das Wort würde ich nicht benutzen. Bilder können die Vielschichtigkeit der Welt oft leichter einfangen. Aber als ich »Das Labyrinth des Fauns« schrieb und unendlich magische Bilder in Worte verwandeln musste, hat mir das großen Respekt vor den Worten gemacht. Denn ich höre nun oft, dass die Worte es leichter machen, den Film zu sehen.

Worte können uns beibringen, eigene Bilder zu finden.

Sie können Bilder malen. Bilder dagegen können viel von dem einfangen, was wir mit Worten schwer oder gar nicht ausdrücken können. Die Antwort, die die Geschichte auf die Frage gibt, ob Wort oder Bild mächtiger ist, hat mich überrascht. Aber meiner Meinung nach ist sie die einzig mögliche.

Die ersten 14 Kapitel von »Die Farbe der Rache« hast du während der Corona-Pandemie vorab schon als Hörbuch veröffentlicht.

Hat sich die Geschichte seit der Veröffentlichung vor mehr als drei Jahren verändert?

Gab es Wendungen, die du damals noch nicht absehen konntest?

Cornelia Funke: Sie hat sich vollkommen verändert. Was meinen Lesern einen Einblick in meine Schreibwerkstatt geben wird – und die Erkenntnis, dass meine Lektorin es nicht leicht hat, weil meine Fassungen sich mit jedem Durchgang dramatisch verändern. Ich bin einer Geschichte auf der Spur, wenn ich sie schreibe. Sie führt mich in die Irre, versteckt Dinge, Figuren lügen … es ist ein solches Abenteuer, schließlich herauszufinden, was sie wirklich erzählt. Das ist für mich immer wieder das Aufregendste am Schreiben.

Nach wie vor wird die »Tintenwelt«-Reihe von alten und auch neuen Fans heiß geliebt.

Wie haben sie dein Schreiben möglicherweise beeinflusst? Haben ihre Reaktionen oder Rückmeldungen Ideen zu diesem neuen Buch beigetragen?

Cornelia Funke: Die Liebe zu Staubfinger, die so viele Leser äußern, hat mich sicher darin bestärkt, ihn zur Hauptfigur zu machen. Aber ich habe Meggie nicht mit Farid zusammengebracht, obwohl so viele Leser sich das wünschen. Es wäre einfach nicht die Wahrheit. Und würde Meggie sehr unglücklich machen. Diesmal hatte den größten Einfluss neben meiner langjährigen Lektorin Imke Ahrens wohl wieder mal meine Tochter Anna.

Sie hat ein paar Beobachtungen verbessert, nachdem sie eine frühe Fassung gelesen hatte, die vieles bestätigten, was ich gedacht, aber dann doch unter den Teppich gefegt hatte.

Und ihre Gedanken haben dazu geführt, dass ich das Buch nochmal ganz neu angefasst habe – und schließlich den Weg zum Herzen des Labyrinthes fand. Anna und Imke sind sehr gut darin, die Stellen zu bemerken, an denen ich es mir zu leicht gemacht und mich um Wendungen herum gemogelt habe.

Die Lösungen und die richtigen Wege muss ich dann finden. Aber es war auch diesmal unendlich hilfreich, zwei Leserinnen zu haben, die die richtigen Fragen stellten. Ich freue mich sehr, dass Anna das Buch nun ins Englische übersetzen wird

Gibt es Pläne, die Tintenwelt-Reihe nach diesem neuen Band weiter fortzusetzen? Hast du bereits Ideen für zukünftige Geschichten in dieser Welt?

Cornelia Funke: Ach, die Ideen … die habe ich ja immer. Viel zu viele!

Aber nun muss ich erstmal das letzte Reckless-Buch schreiben. Und wenn das fertig ist, bin ich vielleicht einfach zu alt, um nochmal drei, vier Jahre an einem Buch zu arbeiten. Aber vielleicht gibt es irgendwann noch ein paar kürzere Geschichten aus der Tintenwelt, so wie ich sie aus der Spiegelwelt bisweilen erzähle. Schließlich ist das dieselbe Welt, nur 500 Jahre älter.

Verlag Oetinger

Interview Quelle Oetinger Verlag

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 20 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.