Interview mit Carsten Henn

Bildrechte Fotograf ist Mirko Polo.

Sehr geehrter Herr Henn,

Wie kam es dazu, dass Sie nach Ihren Romanen für Erwachsene jetzt ein Kinderbuch geschrieben haben?

Carsten Henn: Ganz ehrlich: Weil eine Oetinger-Lektorin auf mich zugetreten ist. Sie hatte meinen Roman »Der Buchspazierer« gelesen und fand, dass die Kinderfigur darin besonders gut gelungen ist und ich das Zeug hätte, für ein jüngeres Publikum zu schreiben.

Bis zu dieser Anfrage hatte ich niemals ernsthaft über ein Buch für eine jüngere Leserschaft nachgedacht, aber ab da waren die Denk-Schranken geöffnet, und ich ließ die Ideen dazu ein. Es war wie ein frischer Wind in meinem kreativen Zentrum. Ich hab das sehr genossen.

Die Redaktion: In »Die Goldene Schreibmaschine« geht es, wie auch bereits in anderen Büchern von Ihnen, um die Kraft von Büchern und Geschichten. Was kann Literatur Ihres Erachtens nach bewirken?

Carsten Henn: Unglaublich viel, sie hat eine enorme Macht. Literatur kann sprichwörtlich Berge versetzen, Revolutionen starten und vor allem Menschen die Menschlichkeit zeigen.

Ich will nicht behaupten, dass sie alles bewegen kann, aber sie kann Ideen in die Welt bringen und in den Herzen der Menschen verankern. Allerdings sollte Literatur nie  versuchen pädagogisch zu sein, sondern in erster Linie eine menschlich bewegende Geschichte erzählen.

Da halte ich es wie mit der Erziehung von Kindern: Die beste Art ist die des Vorlebens.

Die Redaktion: Wie kamen Sie auf die Idee zu dieser Geschichte?

Es war eine dieser Ideen, die spät in der Nacht vorbeischauen und einen dann dazu bringen, dass man bis zum Morgen aufbleibt, weil man Feuer und Flamme ist.

Ich wusste ursprünglich nur, dass ich wie in meinem Roman »Der Buchspazierer« etwas über die Kraft der Literatur erzählen wollte, aber auf eine leicht fantastische Art, in Richtung Urban Fantasy. Dann hatte ich mit einem Mal das Bild einer goldenen Schreibmaschine im Kopf und fragte mich, was es mit dieser wohl auf sich haben könnte. Dann tauchte ganz schnell Emily auf, und mit ihr alles andere.

Bild Oetinger

Die Redaktion: Auch andere Autor*innen haben die Macht von Literatur in ihren Büchern thematisiert, beispielsweise Michael Ende oder Cornelia Funke. Wurden Sie möglicherweise auch dadurch zu »Die Goldene Schreibmaschine« inspiriert?

Carsten Henn: Das kann sehr gut sein, da ich beide mit großem Vergnügen und großer Bewunderung gelesen habe. Aber wenn, dann war es eine unbewusste Inspiration, beim Plotten und Schreiben habe ich nicht an die beiden gedacht – bis auf die Stellen, an denen im Text kleine Hommagen an sie versteckt sind. Ich verehre sie wirklich sehr.

Die Redaktion: Wie unterscheidet sich das Schreiben für Erwachsene vom Schreiben für Kinder?

Carsten Henn: Die Grenzen sind fließend, und es gibt wunderbare Romane, die Leserinnen und Leser jedes Alters erreichen. Oftmals ist der größte Unterschied ein sehr naheliegender: Die Hauptpersonen sind jünger. Mit Themen wie Gewalt, Schmerz, Tod, Liebe und Sexualität geht man zudem ein wenig anders um.

Das musste ich erst lernen und habe diesen Prozess als sehr bereichernd empfunden. Für mich ging es darum, eine Sensibilität für eine jüngere Leserschaft zu entwickeln, und dafür auch in mir selbst zu schürfen, wie ich als junger Mensch gelesen und gefühlt hat.

Wovon ich gar nichts halte ist, für eine jüngere Leserschaft in irgendeiner Form simpler zu schreiben. Ich habe es als Kind gehasst, wenn Ältere mich wie ein Kind behandelten.

Deswegen verhalte ich mich auch meiner Leserschaft nicht so gegenüber. In den meisten Fällen sind Kinder viel klüger als Erwachsene glauben – meine Kinder haben mir das mehr als einmal bewiesen. Unter anderem bei den ach so klug gewählten Geheimverstecken für Süßigkeiten.

Die Redaktion: Was waren prägende Bücher in Ihrer Kindheit?

Carsten Henn: Tatsächlich Michael Endes »Momo« und »Die unendliche Geschichte«, aber auch Krimis wie »Kanicula« oder »Meisterdetektiv Balduin Pfiff« vom großartigen Wolfgang Ecke, die »Kleiner Vampir«-Reihe der fantastischen Angela Sommer-Bodenburg, Irina Korschunows »Wenn ein Unugunu kommt« oder Christine Nöstlingers »Wir pfeifen auf den Gurkenkönig«.

Als klassisches Kassettenkind der 80er Jahre haben mich aber auch Urmel, TKKG oder Benjamin Blümchen geprägt, später dann Geisterjäger John Sinclair oder Jan Tenner. Als ich älter wurde, liebte ich Douglas Adams, J.R.R. Tolkien und vor allem Terry Pratchett. Aber jetzt habe ich bestimmt viele wichtige Autorinnen und Autoren vergessen, deren Bücher ich als junge Leseratte verschlungen habe.

Die Redaktion: Wenn Sie selbst eine goldene Schreibmaschine hätten, die Bücher umschreiben könnte – welches Buch hätten Sie dann möglicherweise wie verändert?

Carsten Henn: Bei einigen würde es mich tatsächlich in den Fingern jucken, aber ich habe zu großen Respekt vor literarischen Werken, als dass ich da etwas verändern würde. Selbst die Fehler gehören zu einem Werk dazu, sie sind genauso persönlich und manchmal auch wertvoll wie die exakt so gewollten Zeilen. Fehler sind zutiefst menschlich, die kann keine KI imitieren.

Aber wenn ich so länger drüber nachdenke, hätte ich vielleicht Dobbys Tod bei »Harry Potter« rausgestrichen. Das hat mich beim Lesen doch sehr mitgenommen.

Bildrechte Fotograf ist Mirko Polo.

Andererseits musste es natürlich genauso sein. Sonst wäre einem beim Lesen die drohende Gefahr nicht wirklich bewusst geworden, und dass niemand mehr sicher war. Bleibt also besser auch so!

Die Redaktion: In Ihrem Buch wird die Bibliothek als magischer Ort beschrieben, und die »moderne Welt«, sprich das Internet oder Mobiltelefone spielen eine untergeordnete Rolle: Inwieweit haben Sie das Setting in Ihrer Geschichte auch als
Sehnsuchtsort entworfen?

Carsten Henn: Internet und Handy kommen durchaus vor, weil sie aus der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen nicht wegzudenken sind. Aber sie spielen ganz bewusst keine Hauptrolle. »Die Goldene Schreibmaschine« ist wie viele meiner Bücher eine Hommage an das Analoge.

Für mich ist das Analoge ein Rückzug- und Sehnsuchtsort, denn ich habe den Eindruck, dass das Digitale uns oft überfordert und uns Menschen, die wir analoge Wesen sind, auf einer fundamentalen Ebene fremd bleibt. Vielleicht bin ich da auch einfach nur hoffnungsloser Romantiker.

Aber ich finde, mit 50 darf man das ein bisschen sein. Und wenn eine wunderschöne alte Bibliothek in einem Park kein Sehnsuchtsort ist, was dann?

  • http://carstensebastianhenn.de/
  • Autor Carsten Henn
  • Titel Die Goldene Schreibmaschine
  • Ungekürzte Lesung, Sprecher: Stephan Benson
  • Audio-Download
  • Laufzeit: 500 Minuten
  • Hamburg: Oetinger Media
  • 18,99 € (D)
  • ISBN 978-3-8373-9580-8
    Erscheinungstermin: 10. Oktober 2024

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 20 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.