Die kleine Eins und das Mengenkrokodil

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Eine Besonderheit stellt in diesem Kontext das bilinguale Aufwachsen mit zwei parallel zu erlernenden Muttersprachen dar. Die Forschung ist sich dahingehend einig, dass ein mehrsprachiges Aufwachsen für Kinder erhebliche Vorteile mit sich bringt.

Das Erlernen der Sprachen beginnt bereits im Mutterleib. So können Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft zwei Muttersprachen verwenden, bereits sehr früh zwischen diesen unterscheiden. Schon im Alter von vier bis sechs Monaten sind sie in der Lage, dies anhand von Mimik und Gestik zu erkennen.

Überhaupt haben Körpersprache, Mimik und Gestik eine zentrale Bedeutung für den Spracherwerb in den ersten Lebensmonaten. Nach Stand der Wissenschaft stellt der Zeitraum direkt nach der Geburt sogar das beste Zeitfenster für das Erlernen einer zweiten Sprache dar.

Das gängige Vorurteil, das zweisprachige Aufwachsen würde Kinder verwirren und demnach mehr Schaden anrichten als Nutzen generieren, gilt mittlerweile als widerlegt. Vielmehr ergeben sich aus einem bilingualen Aufwachsen sichtbare Vorteile, von denen das Kind in seiner Entwicklung nachhaltig profitieren kann.

Dazu gehören neben einer erhöhten geistigen Flexibilität und Kognition auch verbesserte Gedächtnisleistungen sowie erweitere Problemlösungsfähigkeiten. Sogar der kognitive Alterungsprozess, der zu Demenz oder anderen Erkrankungen führen kann, verlangsamt sich nachweisbar.

Zugleich fällt es mehrsprachig aufwachsenden Kindern leichter, Kontakte zu knüpfen und eine grundlegende Toleranz und Weltoffenheit auszubilden. Auch gelingt es ihnen leichter, die Struktur von Sprache, also Satz- und Sprechmuster sowie grammatikalische Grundlagen, zu erkennen und zu verinnerlichen.

Ebenso ist das Erlernen weiterer Sprachen im Lebensverlauf mit geringeren Hindernissen verbunden. Lange Zeit wurden vermeintliche Nachteile eines mehrsprachigen Aufwachsens angeführt. Demnach würden die betroffenen Kinder keine der beiden Muttersprachen „richtig“ erlernen und würden einen geringeren Wortschatz aufweisen als Gleichaltrige, die nur eine Basissprache besäßen.

Gern werden auch vermeintliche psychosoziale Probleme und eine allgemeine Überforderung der jungen Lerner als Gründe gegen eine bilinguale Erziehung ins Feld geführt. Empirisch belegt ist keines der postulierten Risiken. Der einzige „Nachteil“, so man ihn als solchen bezeichnen möchte, ist der deutlich erhöhte Aufwand für die Eltern, da es einer konsequenten Umsetzung und klarer Kommunikationsstrategien bedarf, um die passenden Rahmenbedingungen für ein mehrsprachiges Aufwachsen zu installieren.

Gemeinsam mit dem Spica Verlag, dem Herausgeber der von Illustratorin Marie Reimann und mir erdachten Kinderbücher rund um „Die kleine Eins“, stellten wir uns vor einigen Jahren die Frage, wie wir abseits der bereits veröffentlichten Formate in hochdeutscher Standardsprache, zur zusätzlichen Sprachförderung beitragen können. So entstand die Idee von Übersetzungen der ersten drei Teile unserer Kinderbuchreihe sowohl ins Englische als auch ins Niederdeutsche.

Englisch ist als Welt- und Geschäftssprache ohnehin nicht mehr wegzudenken. In vielerlei Hinsicht haben englische Begriffe und Redewendungen längst Einzug in den täglichen Sprachgebrauch gefunden. Nicht selten wird beim mehrsprachigen Aufwachsen auch diese Sprache als bevorzugte, zweite Muttersprache ausgewählt. Das Englische fest im Wissenskanon verankert, meist schon im Vorschulbereich. Demzufolge war es für uns nur logisch, den Abenteuern unserer kleinen Eins entsprechende Übersetzungen zu ermöglichen.

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In einer gegenteiligen Überlegung stand die Frage im Raum, wie wir erhaltenswerte, aber tendenziell rückläufige Sprachen, gezielt unterstützen können. Der Spica Verlag engagiert sich seit geraumer Zeit für den Erhalt der niederdeutschen Regionalsprache und so war es ein logischer Schritt, unsere bisherigen drei Kinderbücher auch auf Plattdeutsch auf den Markt zu bringen, da es eng mit der norddeutschen Kultur verbunden ist und ein wertvolles Kulturgut darstellt.

Seit dem 20. Jahrhundert wurde der niederdeutsche Sprachgebrauch sukzessive durch das Hochdeutsche verdrängt und ist seither fast komplett aus der Öffentlichkeit verschwunden. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 3 % der deutschen Bevölkerung noch aktiv Plattdeutsch sprechen. Diese Zahl mag zunächst niedrig erscheinen, ergibt aber in Gesamtheit etwa 2,5 Millionen Menschen. Demzufolge ist dieses Kulturgut wohl doch noch weitaus lebendiger, als ihm gemeinhin nachgesagt wird.

Der Rückgang der Sprecherzahlen hat sich spürbar verlangsamt. Hoffnung bereitet zudem die Tatsache, dass sich die Bestrebungen zum Erhalt der niederdeutschen Sprachkultur in den letzten Jahren deutlich intensiviert haben. Neben dem Wirken durch gezielte Förderprogramme bieten auch immer mehr Schulen das Plattdeutsche gezielt als Unterrichtsfach an. Es gibt also keinen Grund, dem Pessimismus zu verfallen.

Im Jahr 2025 erschien der mittlerweile vierte Ableger unser Kinderbuchreihe unter dem Titel „Die kleine Eins und das Mengenkrokodil“. Die namensgebende Protagonistin und ihre Zahlenfreunde stehen auch in diesem Abenteuer Seite an Seite, um sich neuen Herausforderungen zu stellen und über sich hinauszuwachsen. Auch diesem vierten Ableger waren nun eine englischsprachige und eine niederdeutsche Übersetzung vergönnt.

Es bleibt also festzuhalten, dass Sprache vor allem von Vielfalt und dem stetigen Gebrauch lebt, um ihre bereichernde und förderliche Wirkung entfalten zu können. Ob nun in Form des mehrsprachigen Aufwachsens oder der gezielten Förderung in Schule und Freizeit: Sprache ermöglicht den Blick über den Tellerrand und öffnet in vielerlei Hinsicht Türen zu einem wertschätzenden Miteinander, das von Neugier, wechselseitiger Akzeptanz sowie einem persönlichen Mehrwert geprägt ist. Dies möchten wir auch weiterhin aus tiefster Überzeugung unterstützen und in unserer Rolle als Künstler und Autoren begleiten.

 

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 20 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.