Angesagt – Dr. Jörg Kwapis

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Sehr geehrter Herr Dr. Kwapis,
Dr. Jörg Kwapis ist Diplom-Erziehungswissenschaftler und Dyskalkulietherapeut. Seit 2000 besetzt er zentrale Funktionen für die Zentren zur Therapie der Rechenschwäche in Potsdam, Berlin und Freiburg. Er ist zudem in der Fortbildung an Schulen und in Kitas tätig.

Die Redaktion: Warum haben so viele Menschen Angst vor Mathe?

Dr. Jörg Kwapis: Wenn so viele Menschen Angst vor Mathe haben, liegt das oft in der Schule begründet. Denn dort erfahren und erleben wir jahrelang Mathematik und lernen mathematisch denken. Ich denke, dass viele Menschen einen Matheunterricht hatten, in dem es vor allem darum ging, wer zuerst das richtige Ergebnis nennen kann.

Also Mathe als eine Art Wettlauf um das richtige Ergebnis, oft verbunden mit der Beschämung derer, die nicht so schnell am Ziel waren oder Zusammenhänge nicht so schnell oder gar nicht verstanden hatten.

Die Redaktion: Wie entsteht dieser Wettlauf um das richtige Ergebnis?

Dr. Jörg Kwapis: In der Schule wird mathematisches Lernen dem Zweck einer guten Benotung untergeordnet. Gute Noten gibt es in Mathe nicht für die beste Beschreibung, Erklärung und Begründung eines Gedankens oder Zusammenhangs, sondern für das Abliefern von richtigen Rechenergebnissen in der vorgegebenen Zeit.

Dem erforschenden Nachdenken über mathematische Zusammenhänge ist das nicht nur hinderlich, sondern es befördert eine instrumentelle Haltung bei Schülern wie Lehrern: Hauptsache, das Ergebnis oder die Antwort stimmt, dann stimmt die Note. Also pauken die Kinder Definitionen, Regeln und Algorithmen – gerade, weil sie sie oft nicht verstanden haben. Freude macht das nicht.

Die Redaktion: Wann fangen die Matheprobleme bei den meisten Menschen an?

Dr. Jörg Kwapis: Wenn mit Matheproblemen Schwierigkeiten im Rechnen oder Rechenschwächen gemeint sind, beginnen diese im Anfangsunterricht Mathematik. Um sinnvoll mit Zahlen zu rechnen, müssen Menschen die Zahlen in ihrer abstrakten Mengenbedeutung und in ihren Mengenbeziehungen zu anderen Zahlen, der Aufbau des Zehnerzahlsystems und die Logik der Rechenoperationen, verstehen.

Diese Inhalte bauen in ihrem Verständnis hierarchisch aufeinander auf. Hat jemand Gedanke A nicht verstanden, kann er den darauf aufbauenden Gedanken B nicht oder nicht richtig verstehen. Bei Problemen im Rechnen oder Rechenschwächen sind in der Regel Zahlen und Rechenoperationen un- oder missverstanden, fehlt elementares zahlenmathematisches Wissen.

Diese Probleme entstehen ganz am Anfang des systematischen mathematischen Lernprozesses, d.h. die Probleme entstehen in den ersten Schuljahren. Bleiben sie unbemerkt, beeinträchtigen sie die gesamte Schullaufbahn.

Die Redaktion: Was kann man (besonders Eltern) tun, damit Probleme in Mathe gar nicht erst entstehen?

Dr. Jörg Kwapis: Eltern sollten im Gespräch mit ihren Kindern viel nachfragen und diskutieren. Das gilt ja generell und im Besonderen auch für mathematische Fragen.

Alles kann Mathematik sein; Muster, Strukturen und Zusammenhänge zu entdecken und sie zu beschreiben ebenso wie logische Schlussfolgerungen und daraus folgende Wenn-Dann-Beziehungen. Eltern können mit Kindern schon zeitig über Mengen und Zahlen bis zehn diskutieren, Zahlenrätsel lösen, mit Zahlen spielen. Das unterstützt Kinder im Nachdenken über Zahlen und ihre Zusammenhänge.

Die Redaktion: Was fehlt im Matheunterricht?

Dr. Jörg Kwapis: Mathematik beginnt dort, wo Probleme beschrieben, analysiert und untersucht, wo Probleme erklärt und Antworten sowie Lösungen gefunden und begründet werden. Eine solch entdeckende Haltung, die eine Schule des Denkens ist, fehlt meist in unseren Schulen.

Ich wünsche mir für den Mathematikunterricht Lehrerinnen und Lehrer, die von der Mathematik begeistert sind und diese Begeisterung im gemeinsamen Nachdenken über Zahlen, Formen und Muster an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben. Und ich wünsche mir Schulen, in denen das Erreichen von guten Schulnoten nicht das alleinige Ziel ist.

Die Redaktion:  Wenn die Probleme einmal begonnen haben, kann man dann noch aufholen? Was können Eltern machen, deren Kinder sich mit Mathe schwertun?

Dr. Jörg Kwapis: Beobachten Eltern oder Lehrer anhaltende Probleme beim Rechnen, sollte man diese im Rahmen einer mathematischen Lernstandsanalyse detailliert untersuchen. Es gilt festzustellen, bis zu welchen der aufeinander aufbauenden Lerninhalte die Kinder diese verstanden haben, und ab wann die Inhalte unverstanden sind.

Liegen die Wissensdefizite im elementaren Bereich des Zahlen- und Rechenoperationsverständnisses, spricht man von einer Rechenschwäche/Dyskalkulie. An der Bruchstelle im Aufbau des mathematischen Wissens sollte ein nachholender mathematischer Lernprozess, wie er im Rahmen einer Dyskalkulie-Therapie erfolgt, ansetzen.

Grundsätzlich ist das in jedem Alter möglich. Je früher das Problem jedoch erkannt wird, desto eher können Betroffene es überwinden und desto weniger schmerzliche Erfahrungen entstehen für sie im Zusammenhang mit dem Rechenproblem. Eltern, deren Kinder sich schwer in Mathematik tun, empfehle ich, sich so zeitig wie möglich an Experten für mathematisches Lernen und dessen Probleme zu wenden.

Die Redaktion: Wie kann Mathe Spaß machen?

Dr. Jörg Kwapis: Vor allen Dingen, indem wir den Matheunterricht mit Freude betreiben. Für mich heißt das z.B., mit Zahlen und Formen zu spielen. Menschen mögen Muster und Ornamente. Was passt zusammen, was nicht? Welche Erklärung ist hier sinnvoll? Wie lässt sich das gut beschreiben und zeichnen? Mathematik macht Spaß, wenn sie in Fragen und Rätseln daherkommt.

Das können Rätsel mit Zahlen und Formen sein, das können Legerätsel aus Streichhölzern sein, das können Knobelspiele, aber auch logische Schlussfolgerungen in einer kniffligen Situation sein. Die Mathematik kann dann Spaß machen, wenn sie zur gedanklichen Auseinandersetzung einlädt und herausfordert. Und vor allem dann, wenn meine Gedanken und Lösungen nicht immer mit Zensuren bewertet werden.

Die Redaktion: Gab es durch Homeschooling aufgrund der Pandemie einen Anstieg bei Matheproblemen?

Dr. Jörg Kwapis: Der ausgefallene Mathematikunterricht führt bei all den Schülerinnen und Schülern zu Problemen, die auf keine versierte Unterstützung durch ihre Eltern im Homeschooling bauen können. Eltern, die selbst Probleme in oder Angst vor Mathe haben, sind keine gute Unterstützung für ihre Kinder. Aber auch mathematisch bestens gebildete Eltern wissen oft nicht, wie sie die anstehenden Inhalte mit ihren Kindern methodisch sinnvoll erarbeiten können.

Die Methode „Ich zeig’s dir. Mach’s mir nach.“ führt kaum zu grundlegenden Einsichten in die mathe-logischen Zusammenhänge. Durch die geschlossenen Schulen sind viele Kinder in Gefahr, den Faden im mathematischen Lernen zu verlieren. Wir erleben zwischen den verschiedenen Lockdown-Phasen eine verstärkte Nachfrage nach mathematischen Lernstandsanalysen und nach einer qualifizierten Unterstützung im Erlernen des Rechnens.

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 20 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.