Angesagt – Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer,
Sie sind Arzt, Buchautor und Vater. Welche Rolle ist Ihnen am liebsten?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Kein Mensch ist nur eine Person, jeder Mensch ist viele – je nachdem, in welchem Kontext er sich gerade bewegt. Ich bin Vater und Großvater, Mann. Ich bin Arzt aus Leidenschaft und Autor, weil ich andere Menschen gern teilhaben lassen möchte, an dem, was mir das Leben an Erkenntnissen geschenkt hat.

Das verbindet alle Menschen: Wir sind Spieler. Genauer: Wir spielen unsere Rollen. Im Beruf, in der Freundschaft, in der Liebe. Als Kinder und Eltern gleichermaßen.

Ich bin viele. Welches meiner „Ichs“ mir gerade am liebsten ist, hängt von der Situation ab. Ich betrachte mich daher auch lieber als Mosaik – als bunte Sammlung von Facetten. Das ist auch viel spannender.

Die Redaktion: Wie kommt ein erfolgreicher Mediziner dazu, überhaupt ein Kinderbuch zu schreiben, denn eigentlich hat man als Arzt doch kaum Zeit für so etwas.

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Ich bin zu allererst Arzt. Für mich gibt es nichts Spannenderes als Menschen. Und: Mir ist die Gesundheit meiner Mitmenschen wichtig. Ich wünsche mir seit Jahren, dass jeder, ob Kind oder Erwachsener, mehr Verantwortung für seinen Körper und seinen Geist übernimmt.

Jeder kennt sich selbst am besten – „Der Patient ist selbst der wahre Arzt – wir Ärzte sind nur seine Gehilfen“ – frei nach Paracelsus… Wir können alle selbst so viel tun, um gesund und fit zu bleiben. Wissen ist eine Basis dafür. Es ist mir ein Herzensanliegen: Ich will begeistern für die Medizin und den Körper, den man als so selbstverständlich nimmt, immer wieder ignoriert und verdrängt.

Im und mit dem kleinen Medicus – meinem Buchhelden – schlüpfen Kinder in die Rolle einer Figur, die offen für Neues ist – und ihnen hilft, sich selbst neu zu entdecken. Der kleine Medicus als Film- und Bühnenfigur steht für den Arzt in dir selbst, für Hilfe zur Selbsthilfe. Aber am Anfang stand das Wort: Ein Buch, das Wissen und Unterhaltung verbindet, um Kinder einfach besser zu erreichen.

Die Redaktion: Ist eigentlich der kleine Medicus daran schuld, wenn man es so sagen kann, dass Sie sich seit Jahren um die Gesundheitserziehung bemühen?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Als Arzt lag mir Gesundheitserziehung schon immer am Herzen. Der kleine Medicus hat mir nur geholfen, meinem Wunsch eine persönlichere Form zu geben. Als ich 2004/2005 den kleinen Medicus schrieb, sah ich einen neugierigen Jungen vor mir, der die Welt erobern will.

Ein Junge, mit dem sich Kinder leicht identifizieren können. Kein Supermann, nein, eher zu klein gewachsen, aber ein Bursche, der es faustdick hinter den Ohren hat und den Dingen auf den Grund geht. Gesundheitserziehung von Kindesbeinen an – das wünsche ich mir.

Für Schulen entwickelte ich deshalb auch das Mitmachtheater „Medi-Circus“ mit vier Schauspielern. 2007 schließlich rief ich die Dietrich Grönemeyer Stiftung für Prävention bei Kindern und Jugendlichen ins Leben, um das Thema Gesundheitserziehung auch strukturell zu verankern.

2014 folgte der Kinofilm „Der kleine Medicus – Bodynauten auf geheimer Mission im Körper“… Für gute Gesundheitserziehung kann und sollte man die ganze Klaviatur der Möglichkeiten spielen. Und ich glaube nicht, dass der Film und die neuen Bücher schon das Ende des Weges sind…

Die Redaktion: Das, was mich an Ihnen fasziniert, ist, dass Sie immer wieder neue Projekte gerade für Kinder entwickeln. Sie haben mit Partnern das Projekt „Bewegte Schulpause“ entwickelt, was steckt dahinter?

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Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Kinder brauchen ausreichend Bewegung: Hüpfen, Toben und Klettern stärken nicht nur den Körper, sondern fördern auch die Konzentration im Unterricht. Wir sprachen ja gerade über den Gesundheitsunterricht.

Seit Jahren wünsche ich mir zudem: eine Stunde Bewegung und Sport pro Tag – für jedes Kind an jeder Schule. Dafür habe ich nun mit Unterstützung von Deichmann ein neues Programm entwickelt, mit dem Kinder in Grundschulen zusätzlich 20 Minuten pro Tag in Schwung kommen.

Spielerisch und ohne Sportgeräte lässt es sich in der Schulpause oder auch vor den Unterrichtsstunden umsetzen. Unter www.bewegte-schulpause.de finden Interessierte die knapp 40 Übungen. Ziel sind wöchentlich 100 Minuten Bewegung zusätzlich zum Sportunterricht der Grundschüler. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Konzentration bei Kindern im Grundschulalter nach bereits 15 Minuten nachlässt.

Sport und Bewegung zwischendurch entspannen die Schüler und motivieren sie wieder für den Unterricht. Das Ganze ist als Initialzündung gedacht – und soll in den nächsten Jahren bundesweit Schule machen.

Die Redaktion: Alles beruht auf einer Art Spiel. Haben Sie als Kind mit Ihren Eltern gespielt? An was können Sie sich dabei erinnern? Was war Ihnen aus heutiger Sicht dabei wichtig? Und was haben Sie als Kind mit Ihren Eltern gespielt?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Ich erinnere mich genau an die tolle Zeit in meiner Kindheit und frühen Jugend mit meinen Brüdern. Wir waren alle gute Sportler.

Beim Fußball stand Willi meistens mit Handschuhen und Kappe wie Tilkowski – der damalige bekannte Torwart von Dortmund und der Nationalmannschaft – im Tor, weil er so tolle Paraden drauf hatte. Wir anderen dribbelten, flankten und schossen mit Begeisterung aufs Tor oder übten Elfmeterschießen.

Wir spielten ständig auf der Straße mit Freunden oder in den Ferien am Strand in Holland – manchmal mit unserem Vater und den Vätern unserer Freunde –, später in der Schulmannschaft und in Vereinen.

Im Garten wurden mit Nachbarskindern auch kleine Leichtathletikfeste organisiert, um den Häuserblock „Marathon gelaufen“, Tischtennis auf dem Küchentisch oder mit uralten und krummen Schlägern, die wir irgendwo aufgetrieben hatten, Tennis gespielt – eine Leine wurde gespannt und los ging’s.

„Didi … hau endlich die Pille in die Katenne!“ – „Herbert, los, Mann, rechts antäuschen und links vorbei, mach schon!“… Ich höre meinen Vater noch, wie er uns liebevoll, aber kräftig am Strand während der unzähligen Fußballspiele zur Seite drückte.

Er heizte uns Kinder richtig an. Sport und Spiel. Lust und Leistung. Leidenschaftlich bis zum Umfallen zu kämpfen, das Ziel des Sieges nie aus den Augen zu verlieren, trotzdem fair zu bleiben und auch mal anständig verlieren können – all das hat mich geprägt.

Die Redaktion: Sie haben drei Kinder, spielen Sie auch mit Ihren Kindern? Was macht das Spielen mit Ihren Kindern aus Ihrer Sicht aus?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Kinder sind toll. Das Beste, was man für ein Kind tun kann, ist genau das, was auch das Kind gerne hat. Sicher, es möchte spielen, möchte testen, ausprobieren, Neues lernen und seine Kräfte messen.

Als mehrfacher Vater und Großvater weiß ich aus Erfahrung: Wir tun uns selber etwas Gutes, wenn wir uns Kindern mehr widmen. Spiel und Bewegung tun auch uns Erwachsenen gut.

Ob gemeinsames Essen oder spielen, das Zusammensein verbunden mit Regeln, ist für die Entwicklung von Kindern wichtig.

Nicht nur die Gemeinsamkeit und das gemütliche Miteinander mit den Erwachsenen ist schön, sondern auch die Erfahrung, dass das soziale Beisammensein den Genuss verdoppelt kann…

Die Redaktion: Und da man ja nicht nur mit Kindern spielt, stellt sich die Frage, was Sie mit Ihren Freunden spielen?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Was für das Spielen mit Kindern gilt, gilt im Prinzip auch für das Spielen mit Freunden. Spielen, Gespräche, Lachen – das entspannt, wirkt grundsätzlich antidepressiv und gibt mir persönlich viel Lebenskraft.

Die Redaktion: Heutzutage leiden alle unter Stress und Zeitnot. Dadurch haben oder besser gesagt, nehmen sich Eltern keine Zeit, mit ihren Kindern zu spielen. Was würden Sie Eltern raten, wie wichtig es wäre, mit ihren Kindern zu spielen?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Haben Kinder heute nicht grundsätzlich zu wenig Freiräume, da die Zeit immer knapper zu werden scheint, während die Leistungsanforderungen zusehends steigen? Kinder brauchen aber Zeit zum Trödeln, zum Träumen, zum Spielen. Diese Zeit müssen wir ihnen geben und ihnen den Platz dafür einräumen.

Und was geschieht stattdessen? Die körperlichen Fähigkeiten unserer Kinder haben sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch reduziert.

Wir in meiner Generation hatten zwar meist weniger Platz in der Wohnung als heute, aber uns standen großzügige Außenräume zur Verfügung: die Straßen waren noch nicht so belebt, auf den Bürgersteigen konnte man noch Ball spielen oder Seil springen. Heute führen Kinder oft ein Inseldasein.

Auch Geschwister gibt es immer weniger. Um ihrer Einsamkeit zu entgehen, suchen Kinder immer mehr Unterhaltung im Internet oder Fernseher. Aber was ist das schon gegen eines mit Freunden oder der Familie?

Die Redaktion: Wenn Sie in die Rolle eines Spieleerfinders schlüpfen könnten, welches Spiel würden Sie denn gern einmal erfinden wollen?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Tatsächlich hatte ich bereits das Glück und die Freude, als Spieleerfinder aktiv werden zu können. „Der kleine Medicus“ ist bei Kosmos als Experimentierkasten und Brettspiel erschienen.

Das war super. Aus heutiger Sicht würde ich die Möglichkeiten der spielerischen Wissensvermittlung mit Spaß aber noch deutlich und vor allem digital erweitern.

Der 3D-Film „Der kleine Medicus – Bodynauten auf geheimer Mission im Körper“ beweist doch, wie sehr sich das Thema anbietet, um Kinder auch im Computerspiel bw. als App auf die Reise durch den Körper zu schicken und spannende Abenteuer im Mikrokosmos Körper zu erleben. Eine interaktive Reise mit Action, einer tollen Geschichte und Wissensvermittlung – das wäre es.

Die Redaktion: Wenn Ihnen alle Möglichkeiten auf dieser Welt zur Verfügung stehen würden, was würden Sie ändern wollen?

Herr Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Ich bleibe jetzt einfach mal im Kontext des Spielens und der Kinder. Mein Wunsch und Traum wäre, Kindern weltweit spielerisch zu zeigen, wie schön das Leben ist. Wie wunderbar ihr Körper in seinen Funktionen.

Wie fantastisch das Leben in all seiner Vielfalt. Sie ist ja grundsätzlich in jungen Jahren da, aber was können wir tun, damit die kindliche Motivation, der Spaß an einem gesunden Lebensstil erhalten bleiben?

Wir müssen früh ansetzen, damit es nicht zu spät ist. Gesundheitsunterricht – in Deutschland, in Europa, weltweit und kulturell angepasst – das wäre toll. Und wenn die Kinder mögen, kann der kleine Medicus hier gern und spielerisch helfen.

Zur Person

Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, geboren 1952, ist der wohl bekannteste Arzt Deutschlands, Bestseller-Autor und „Vater“ des „kleinen Medicus“.

Der emeritierte Professor des Lehrstuhls für Radiologie und Mikrotherapie an der Universität Witten/Herdecke wurde 2013 zum Professor für Gesundheitswirtschaft an die Steinbeis Hochschule in Berlin berufen. 1997 gründete er das Grönemeyer-Institut für Mikrotherapie in Bochum.

Er plädiert für Gesundheitsunterricht an Schulen und hat sich u.a. als Autor so erfolgreicher Bücher wie „Mensch bleiben“, „Lebe mit Herz und Seele“ und „Wir Besser-Esser“ einen Namen gemacht, zudem das Gesundheits-Musical „Der kleine Medicus“ und das Mitmach-Theater „Medi-Circus“ geschrieben und auf Deutschlands Bühnen gebracht.

Das Buch „Der kleine Medicus“ und der Film „Der kleine Medicus – Bodynauten auf geheimer Mission im Körper“ begeistern Kinder wie Eltern gleichermaßen und transportieren wichtige Botschaften Grönemeyers: Hightech und Naturheilkunde müssen mit fürsorglicher liebevoller Medizin verbunden werden, im Mittelpunkt steht der Mensch.

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 15 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.