Angesagt – Antonia Michaelis

Bild ©Joerg Schwalfenberg

Sehr geehrte Frau Antonia Michaelis,
wenn man Ihren Lebenslauf liest, erfährt man, dass Sie schon viel von der Welt gesehen haben. Ihr neues Kinderbuch „Die Mühlenkinder – Prinzessin Jorunn und der Wassertroll“ ist im Oetinger Verlag erschienen.

Die Redaktion: Könnten Sie bitte kurz verraten, um was es in der Geschichte geht?

Antonia Michaelis: Die vier Schwestern Marit, Liv, Jorunn und die winzig kleine Tuuli führen mit ihrem Schriftstellervater in einer alten Mühle ein etwas unkonventionelles Leben, und immer, wenn der Wind von Nordosten weht, bewegen sich die Flügel der Mühle wieder, was eigentlich unmöglich ist.

Dann verwandelt sich die Mühle – und mit ihr die Kinder.

In der ersten Geschichte wird die Mühle zu einem – allerdings maroden – Schloss und die Kinder zu Königstöchtern. Als Jorunn verschwindet, machen ihre älteren Schwestern sich auf den Weg, um sie zu suchen: Marit, die stets mit dem Kopf in den Wolken schwebt und Liv, die lieber ein Junge wäre und sich genauso benimmt.

In einem Boot fahren sie den Fluss hinunter und erleben eine Menge magische und teils dunkle Abenteuer, bei denen ihr Zusammenhalt auf die Probe gestellt wird … Die Kinder sind meine Kinder, die Umgebung die unsere – auch wenn wir nicht in einer Mühle wohnen, sondern nur in einem sehr alten Haus – und dann ist noch ein Schuss Lemony Snicket dabei.

Die Redaktion: Ich habe gelesen, dass Sie Medizin studiert haben. Wie sind Sie eigentlich zum Schreiben gekommen?

Antonia Michaelis: Ich habe immer schon geschrieben, das Medizinstudium war ein eher unnötiges aber informatives Zwischenspiel. Ich dachte damals, vom Schreiben könnte ich nie leben. Nun, es ist anders gekommen. Aber das war natürlich pures Glück.

Die Redaktion: Gute Kinderbücher besitzen etwas Magisches, sie sind etwas Besonderes. Wie kann man als Autorin diese Magie in den Geschichten einfangen?

Antonia Michaelis: Also, man braucht ein Schmetterlingsnetz, eine Rolle Tesafilm und einen Pfau. Den Pfau stellt man je nachdem, ob man die Magie in der Stadt oder auf dem Land einfangen möchte, entweder auf einen Baumstumpf oder auf ein Autodach und bittet ihn, ein Rad zu schlagen und dabei Seifenblasen zu machen.

Dadurch wird die Magie, die sich in der Nähe befindet, meist innerhalb einer halben Stunde angelockt, Magie ist sehr neugierig.

Man wartet, bis sie sich neben den Pfau gesetzt hat und stülpt mit der rechten Hand rasch das Netz über sie, danach verschließt man mit der Linken das Netz sorgfältig mit Tesafilm.

Die gefangene Magie kann man nach Hause tragen, durch Zugabe von Zitronensaft mit Zucker in eine gleichmäßige Masse transformieren und dann beim Schreiben vorsichtig auf den Bildschirm auftragen. Es klebt allerdings etwas.

Verlag Oetinger

Die Redaktion: Wie fängt man eigentlich an, ein Kinderbuch zu schreiben? Legt man dabei einfach los? Oder sammelt man auf einzelnen Zetteln seine Ideen und stellt die dann wie ein Puzzle zusammen?

Antonia Michaelis: Ich denke, das macht jeder anders. Zettelchen finde ich unpraktisch, da der Pfau die meistens aufisst.

Ich sammle die Ideen lieber in meinem Kopf. Dann mache ich einen langen Spaziergang und ordne sie, und dann schreibe ich ein Gerüst auf, ganz langweilig und strukturiert, und wenn das als Skelett quasi fertig ist, beginne ich, zu schreiben.

Die Redaktion: Kinder sind etwas ganz Besonderes, Sie haben ja selber vier Töchter. Ist es eigentlich schwerer für Kinder etwas zu schreiben, als etwas für Erwachsene?

Antonia Michaelis: Ich finde beides gleich schwer.

Die Redaktion: Wir sind ein Kinderspielmagazin und versuchen Erwachsene dazu zu bewegen, mehr mit ihren Kindern zu spielen, weil dies für die kindliche Entwicklung wichtig ist. Was wurde bei Ihnen zu Hause gespielt?

Antonia Michaelis: Als ich klein war? Viele, viele Brettspiele, später an langen Abenden Doppelkopf. Ich weiß nicht, ob das als Spiel gilt, aber wir hatten auch eine lange Blackstory-Phase. Und natürlich freies Rollenspiel, andauernd, damals hatte sowas aber keinen Namen, man spielte einfach, fertig.

Damals wie heute wird auf vielen Partys bei uns geschachert oder das Nein-Spiel gespielt. Dinge wie Mensch-ärgere-Dich-nicht fand ich immer furchtbar.

Bild ©Joerg Schwalfenberg

Die Redaktion: Was war Ihnen dabei wichtig, wenn Sie mit Ihren Eltern oder Geschwistern gespielt haben?

Antonia Michaelis: Geschwister habe ich keine, Eltern zwei. Wichtig war auf jeden Fall nicht das Gewinnen, sondern das Spielen an sich.

Als ich ein Kind war, gab es einige wirklich hübsche Spiele, ich erinnere mich an die drei Magier oder Adel Verpflichtet, da kann man einfach ewig das Spielmaterial angucken … Vieles haben wir aber auch selbst gebastelt, Salzteig, Fimo, Pappe …

Die Redaktion: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Persönlichkeiten aus der jetzigen Zeit oder aus der Geschichte zu einem Spiel einzuladen, wer dürfte an Ihrem Tisch Platz nehmen?

Antonia Michaelis: Astrid Lindgren, Max Ernst, Kurt Tucholsky, Sid Sackson. Aber wir müssten dann zum Spielen erst auf einen Baum klettern und würden vielleicht den Leuten unten zwischendurch ein paar alberne Streiche spielen.

Die Redaktion: Welches Spiel spielen Sie am liebsten? Und was spielen Sie heute mit Ihren Freunden?

Antonia Michaelis: Wir sind große Werwolfspieler, auch die Kinder lieben das, wenn es schön unheimlich wird und jeder eine Kerze für sein Leben bekommt, manchmal läuft jemand als Tod rum, mit einem Eiswürfel in der Hand, den man dann in den Nacken bekommt, wenn man abgemurkst wird.

Mit den Kleinen spielen wir natürlich andere Dinge. Ich arbeite ja im Moment in einer Schule in Madagaskar, in einem der ärmsten Länder der Welt. Die Kinder hier kennen überhaupt keine Lernspiele, Gruppenspiele und Puzzle, ich versuche, das zu ändern und spiele viel mit ihnen, oft in großen Gruppen.

Memory war ihnen als Konzept völlig neu, die 12jährigen waren begeistert, davon gibt es schöne Bilder auf unserer Webseite www.les-pigeons.mg.

Die Redaktion: Was schätzen Sie am gemeinsamen Spiel?

Antonia Michaelis: Da könnte ich jetzt als Theaterpädagoge und Lehrer ganz viele schlaue Sachen sagen wie: die Förderung von Kreativität und Teamfähigkeit, Entwicklung von Gruppendynamik, Transferdenken, Erfolgserlebnisse außerhalb des schulischen Rahmens …

Aber ich sage als Mensch lieber: Es mach Spaß. Und man kann den berühmten Ernst des Lebens auch mal vergessen.

Die Redaktion: Könnten Sie sich vorstellen, auch selber mal ein Spiel zu erfinden?

Antonia Michaelis: Haha, das ist eine lustige Frage, denn ich erfinde dauernd Spiele. Draußenspiele, Brettspiele, Wörterspiele …. Als Kind habe ich manche dann aus so flimsigem Papier gebastelt, das man sie nicht benutzen konnte, aber heute stellen wir z.B. mit der Schule auch Spiele und Spielmaterial in der Holzwerkstatt her, die wir gerne irgendwann verkaufen würden, um die Schule zu unterstützen, denn wir schicken ja die ärmsten der Armen zur Schule hier (Schule ist hier nicht umsonst, und die meisten können es sich nicht leisten).

Sehr gut bewährt sich unsere Variante des alten Snakes and Ladders, allerdings als frei zusammenbaubare lange Schlange mit Farbfeldern und mit Farbwürfel, die Verbindungen funktionieren in beide Richtungen, also alle Snakes sind auch Ladders und umgekehrt, die Kinder verlieren sich darin stundenlang.

Bildrechte Antonia Michaelis/©Joerg Schwalfenberg/ www.les-pigeons.mg

Übrigens sollten sie das madagassische Nationalspiel, Fanorna – sprich Fanurn – mal nachschlagen. Das hat auch ein interessantes Prinzip.

Die Redaktion: Welches Spielthema würde Sie dann reizen?

Antonia Michaelis: Tja, wie gesagt, wir machen das schon. Ich mag SCHÖNE Spiele, die meisten Kinder, die ich kenne auch, das Thema ist egal, ein bisschen Denken muss dabei sein, reines Glückspiel ist fad.

Ein Spiel von uns, das ich auch sehr mag, ist Katz und Maus und beruht auf dem Prinzip, dass jeder Spieler erstens mit seiner Katze die Mäuse der anderen jagt, gleichzeitig mit seinen Mäusen aber den Katzen der anderen auf dem Spielbrett entkommen muss, für alle zusammen aber immer nur so und so viele Würfelaugen hat und entscheiden muss, wie er sie klug verwendet …

Die Redaktion: Wenn Sie eine Sache auf der Welt verändern dürften, was wäre das?

Antonia Michaelis: Das wären zu viele. Daher enthalte ich mich einer Antwort.

Die Redaktion: Was planen Sie für die Zukunft?

Antonia Michaelis: Neue Bücher? Neue Spiele? Neue Theaterstücke? Wir werden hier noch ein großes Theaterstück auf die Bühne bringen und sind dabei, mit allen Kindern der Schule ein Bilderbuch ohne Worte zusammen zu machen, für das ich gerne einen Verlag finden würde.

Im Juli werden wir nach Deutschland zurückkommen, und ich möchte gerne mit unserem madagassischen Kinderdetektivfilm ein bisschen durch Deutschland reisen und ihn zeigen und mehr Paten für die Kinder hier finden, die wir dringend brauchen.

Ja, und beginnen, die Spielzeugproduktion der Schulwerkstatten zu vermarkten, um noch mehr armen Kindern den Schulbesuch und einfach etwas bunte Lebensfreude zu ermöglichen. Gucken Sie doch mal auf die Webseite.

Die Redaktion: Vielen Dank, dass Sie sich für die Fragen Zeit genommen haben.

Info-Ecke:

Website zur Autorin
www.antonia-michaelis.de
www.les-pigeons.mg

Kinderpate werden?

Hier entlang! www.antonia-michaelis.de

Website zum Verlag

https://www.oetinger.de/

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 20 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.