
Hallo Hans, Hallo Kai,
Wie habt ihr Euch kennengelernt und wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Hans: Wir kannten uns vor Murdio Island nicht, der Oetinger Verlag hat uns zusammengebracht. Es war auch von Anfang klar, dass ein Projekt dieser Größe auf jeden Fall zwei Autoren benötigt.
Und Florian Greßhake, der die Anbahnung für das Projekt für den Verlag übernahm, hatte das vollkommen richtige Gefühl, dass wir beide sehr gut zusammenpassen würden.
Kai: Nach dem ersten Treffen im Verlag sind wir gemeinsam zum Mittagessen gegangen.
Dabei sprudelten die Ideen nur so aus uns heraus. Es wurde schnell klar, dass sich unsere Ansätze und Hintergründe perfekt ergänzen könnten.
Besprechungen in Restaurants sind dann zu einer Art Tradition geworden: Immer, wenn wir mit der Planung für einen neuen Teil beginnen, sitzen wir entweder bei einem Bäcker oder in einem Restaurant.
Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb die Spielerinnen und Spieler am Ende fast jeder Episode von Murdio Island zur Belohnung zum Essen eingeladen werden.
Wie kann man sich Eure Zusammenarbeit vorstellen? Wer macht was?
Kai: Es gibt keine klassische Aufteilung, wir schreiben beide Rollen und Texte, designen Rätsel, erstellen das Skript für die Programmierung der App und denken uns die Illustrationen aus.
Wenn ein Fall fertig ist, lässt sich auch nur noch schwer sagen, welche Idee jetzt von wem war. Natürlich teilen wir Abschnitte des Spiels oder sogar ganze Episoden unter uns auf, aber wenn einer von uns mit seinem Teil fertig ist, wird gemeinsam getestet und darüber gesprochen, sodass es immer ein Gemeinschaftsprodukt ist.

Hans: Wir arbeiten sehr viel online in drei ziemlich schmucklosen Dokumenten zusammen:
In einem stehen alle gesprochenen Texte, in einem weiteren sind alle Anweisungen für das, was die App machen soll, und in einem dritten sind alle Illustrationen beschrieben.
Besonders das Skript für die App-Programmierung sieht abschnittsweise ziemlich wild aus, weil es so kompliziert werden kann. Beim Spielen in der App fühlt sich dann alles ganz einfach an – aber dafür müssen im Hintergrund zum Teil wirklich komplexe Dinge passieren.
Es gibt tatsächlich nur wenige Personen, die dieses Programmierskript lesen und vollständig verstehen können, was letztlich (hoffentlich) in der App passieren soll.
Da lernen wir übrigens auch ständig dazu: In Episode 2 gibt es ein Feld, das intern bei uns nur noch das „Horror-Feld“ genannt wird.
Kai (lacht): Oh ja, ich erinnere mich! Dieses Feld kann über fünf verschiedene Zustände einnehmen und hat Querabhängigkeiten zu drei anderen Feldern.
Hans: Und als wir natürlich genau dieses Feld aufgrund einer Änderung im Gameplay eine ganze Weile nach dem Schreiben grundlegend überarbeiten mussten, haben wir uns einen starken Kaffee und Tee gemacht, Schokolade bereitgestellt und tatsächlich über eine Stunde nur an diesem Feld gearbeitet.
Wir mussten zu Beginn erst einmal selbst wieder verstehen, was dort genau warum passieren soll und dann im Schritttempo alle
Möglichkeiten durchgehen, die es geben sollte. Das Onlinetreffen haben wir mit den Worten beendet: „Okay, so ein Feld machen wir nie wieder“. Aber es funktioniert und es spielt sich toll, daher war es das auch wert.
Was brachte Euch auf die Idee zu Murdio Island?
Kai: Als der Oetinger-Verlag auf uns zu kam, gab es mehr oder weniger nur eine grobe Idee, wie das Spiel ungefähr funktionieren sollte. Es war klar, dass es ein Spielbrett, eine App und ein Hörspiel geben sollte und dass die Altersfreigabe bei 10 Jahren oder älter liegen sollte.
Auf die Idee, alles auf einer Insel spielen zu lassen, kamen wir recht schnell, denn wir brauchten einen Ort, den wir einfach vom Rest der (Spiel-)Welt abtrennen konnten.
Außerdem finden wir beide Inseln sehr spannend. Und wir wollten wir den Spielerinnen und Spielern eine wichtige eigene Rolle bei den Kriminalfällen geben, wodurch die Idee des Polizeinachwuchses entstanden ist.
Hans: Uns gefiel dabei der Gedanke, dass ein korrupter Politiker die Polizei abschafft, weil es einen dunkleren, aber nicht zu düsteren Aspekt mit in die Welt brachte. Da kam uns auch wieder die Insel zugute: Uns gefiel die grundlegende Logik, dass nur dort keine Gesetzeshüter mehr unterwegs sind, während auf dem Festland die state police noch aktiv ist.
Kai: Genau! Irgendwo müssen die Verbrecher am Ende der Episoden ja auch abgeliefert werden.
Hans: So entstand zunächst die Welt von Murdio Island, die wir übrigens schon deutlich weiter ausgearbeitet haben, als es in den ersten Spielen sichtbar ist. Bei uns intern gibt es eine mehrjährige Zeitlinie mit wichtigen Ereignissen in unserer Welt und wir haben eine ganze Karte mit wichtigen Orten und Gebäuden auf der Insel erstellt, die zum Teil in den Spielen (noch) gar nicht vorkommen.
Die Insel selbst wurde von Reisen an die Westküste der U.S.A. und auf die portugiesische Insel São Miguel inspiriert. Für die Situation auf Murdio selbst hatten wir ganz leichte Anlehnungen an Christiania in Kopenhagen. In Murdio Island gibt es daher sehr viele unterschiedliche Einflüsse. Und auch, wenn alles erst einmal sehr amerikanisch wirkt, steckt auch eine ganze Menge Europa darin.

Wie kam es zu dem Namen Murdio Island?
Kai: Wir haben lange über den Titel und den Namen für die Insel nachgedacht und nach etwas gesucht, was die hohe Kriminalitätsrate und die Notwendigkeit, Kriminalfälle zu lösen, transportiert. Und natürlich auch spannend klingt. Obwohl auf Murdio Island keine Morde passieren – schließlich soll das Produkt kindgerecht sein – war diese Abwandlung des englischen Wortes murder so eingängig und griffig, dass es letztlich der Insel ihren Namen gegeben hat.

Bei Murdio Island ist im wahrsten Sinne, der Weg das Ziel. War das von Anfang an von Euch so geplant?
Hans: Ja. Schon im ersten Prototyp war die wichtigste Mechanik, dass eine passende Ortskarte gefunden und angelegt werden muss. Das war die erste Idee, die Kai zum Spielablauf hatte und die er mir mit abstrakten Symbolen vorgeführt hat.
Das Schöne daran ist, dass dadurch ständig Interaktion herrscht, selbst wenn gerade kein Rätsel zu lösen ist. Es muss immer nach der nächsten passenden Karte gesucht und diskutiert werden.
Kai: Von dieser ersten Idee war es aber auch noch ein wirklich weiter Weg. Hans hat mein Grobkonzept in einen Spielmechanismus übertragen und danach haben wir viel an den Beschreibungstexten geschraubt, mit Himmelsrichtungen und Orientierungspunkten gespielt und generell eine Menge ausprobiert, bis dieses Element endlich so funktioniert hat, wie wir uns das vorgestellt haben. Und dass sich dadurch das Spielfeld über die Zeit langsam aufbaut, sieht einfach cool aus, finden wir.

Murdio Island ist nicht gerade ein heimeliger Ort, im Gegenteil. Die Insel ist zu einem Zentrum des internationalen Verbrechens geworden. Warum, glaubt Ihr, begibt man sich als Spieler gerne dort hin?
Kai: Eine der ersten Regeln beim Schreiben von spannenden Geschichten lautet: Die Helden müssen etwas erleben. Mehr als die Leserinnen und Leser in ihrem Alltag. Und die Spielerinnen und Spieler suchen natürlich die Herausforderung. Da muss im wahrsten Sinne des Wortes schon was auf dem Spiel stehen.
Hans: Der große Reiz an Murdio Island ist, dass die Spielerinnen und Spieler sofort zu Helden werden können: Sie sind die letzte Hoffnung der Insel.
Wir dachten, das fühlt sich ebenso verantwortungsvoll wie motivierend an.
Die 50 Ortskarten der beiden ersten Fälle zeigen düstere, unheimliche Schauplätze. Ist das nicht zu gruselig für Kinder ab 10 Jahren?
Hans: Das ist ein sehr wichtiger Punkt und etwas, das wir von Anfang an auch mitbedacht haben. Die Spiele sollten spannend, aber eben nicht gruselig werden. Das hat auch damit zu tun, dass auf Murdio Island nichts Übernatürliches passiert. Für alles, was dort passiert, gibt es eine natürliche Erklärung. Spannende Orte sind naturgemäß eher düster, aber das darf natürlich nicht kippen. Wir sind deshalb eher vorsichtig an die Sache herangegangen, vor allem bei den Beschreibungen für die Illustrationen.
Kai: In dem Punkt kamen uns die vielen Spieletests zugute, die der Oetinger-Verlag möglich gemacht hat. Als dann 10- bis 12-Jährige vor dem Prototypen saßen und begeistert waren, wussten wir, dass wir die richtige Balance gefunden hatten. Einem der Tester entfuhr dann an einer etwas unheimlicheren Stelle auch ein „Woah, ist das creepy! Cool!“. Das hat uns besonders gefreut.
Welche Erfahrungen habt Ihr bei den Testspielen mit der Zielgruppe gemacht?
Hans: Es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als das eigene Spiel „in der freien Wildbahn“ zu beobachten und zu sehen, dass sehr viele Dinge ganz genau so laufen, wie es geplant war.
Und genauso spannend ist es, zu sehen, was überhaupt nicht so läuft, wie geplant.
Kai: Das waren glücklicherweise nicht allzu viele Dinge. Eine große Erleichterung war, dass wir den Schwierigkeitsgrad der Rätsel und die Stimmung des Spiels von Anfang an sehr gut getroffen haben und alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer großen Spaß hatten.
Murdio Island mutet wie eine nordamerikanische Großstadt an, mit Skyline (Cover Folge 1) und riesigen Straßenfluchten (Ortskarten Folge 2). Warum ist der Spielort Amerika?
Hans: Die U.S.A. hatten für uns genau die richtige Mischung an Vertrautheit und Fremdheit für die Spielerinnen und Spieler. Auch wettertechnisch und kulturell gibt es viele spannende Anknüpfungspunkte.
Es gibt wenigstens eine gute Seele auf Murdio Island die ehemalige Polizeichefin Wally Watson. Habt ihr bewusst eine Frauenfigur gewählt? Wer stand für sie Pate? Der Name Watson ist in Detektiv-Geschichten ja durchaus geläufig. Warum habt ihr den Namen gewählt?
Kai: Ja, Wally war von Anfang an als ebenso fürsorgliche wie knallharte Ex-Ermittlerin geplant. Ihr macht keiner so leicht etwas vor. In dem ganzen Chaos, das wir auf der Insel veranstalten, war uns ein Fels in der Brandung wichtig – und eine Instanz, die jederzeit um Hilfe gefragt werden kann.
Wallys Nachname ist natürlich eine Anlehnung an den Namen eines der größten Detektiv-Assistenten aller Zeiten. In den meisten Namen von Charakteren bei Murdio Island verstecken sich solche Anspielungen.
Welche Möglichkeiten hat man als Spieler, den Verlauf der Geschichte zu beeinflussen?
Hans: Nicht in jedem, aber in den meisten Fällen können im Laufe der Geschichte wichtige Entscheidungen getroffen werden, die das Ende des Falls und in einem Fall sogar den Verlauf eines späteren Abenteuers beeinflussen. Das finden wir besonders spannend, wenn es sich um moralische Entscheidungen handelt: Lasse ich vielleicht eine Verbrecherin laufen, weil ich den Grund für ihr Handeln nachvollziehen kann? Wenn eine Welt schon an sich unglaublich ungerecht ist, muss ich dann vielleicht auch meine Definition von Recht und Unrecht überdenken?
Davon abgesehen gibt es in den Fällen auch die Möglichkeit, eher oberflächlich oder besonders gut zu ermitteln. Auch das kann Auswirkungen auf das Ende haben.
Wie viele Lösungswege gibt es?
Kai: Wir haben darauf geachtet, dass sich der Weg zum Ziel im ersten und zweiten Teil jeweils an einer Stelle aufteilt: In beiden Abenteuern kommen die Spielerinnen und Spieler an einen Punkt, an dem sie sich für einen von drei Pfaden entscheiden müssen, die dann auch unterschiedliche Rätsel nach sich ziehen, bevor es wieder auf den Hauptpfad zurückgeht.
Dadurch haben die Abenteuer auch einen gewissen Wiederspiel-Wert: Wer tatsächlich alle Rätsel knacken will, muss mehrfach ran. Wer nur einmal spielt, kommt aber auch ans Ziel.
Der Titel sagt, dass der Spielort eine Insel ist, von der man bekanntlich nicht so einfach wegkommt. In den ersten beiden Folgen ist das aber noch nicht relevant.
Könnt Ihr schon verraten, was auf die Bewohner von Murdio Island zukommt bzw. ob und warum sie von der Insel fliehen möchten?
Kai und Hans tauschen grinsend einen Blick
Hans: Also, es werden definitiv noch einzelne Leute versuchen, von der Insel zu fliehen.
Aber mehr verrate ich nicht.
Kai: Außerdem gibt es auf Murdio Island einen Vulkan. Vielleicht wird das auch noch einmal wichtig, wer weiß …