Angesagt – Jens-Peter Schliemann

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Sehr geehrter Herr Jens-Peter Schliemann,
Sie sind ein erfolgreicher Spieleautor. Gemeinsam mit Bernhard Weber haben Sie das Spiel Glupschgeister entwickelt. Wie wird man eigentlich Spieleautor?

Jens-Peter Schliemann: Ich hatte schon als Jugendlicher von Spieleautoren gelesen und mit einem Jugendfreund an eigenen Spielen entwickelt, welche aber nur für uns attraktiv waren. In meiner Zeit als Student habe ich erste Spiele entwickelt, die auch anderen gefielen.

Seit Ende 1992 besuche ich die Essener ‚Spiel‘, das Göttinger Spieleautorentreffen und die Nürnberger Spielwarenmesse. Die Auszeichnung mit dem Spieleautorenstipendium 1995 verschaffte mir einen konkreteren Einblick in die Branche.

Seit 1996 bin ich immer wieder Kooperationen mit anderen Spieleautoren eingegangen. All dies hat dazu geführt, dass ich mir einen Spieleautorenalltag mit dem nötigen pragmatischen Wissen dafür aufgebaut habe.

Allerdings benötigte ich noch einige Jahre Durchhaltevermögen, ehe ich ab 2003 größere Kinder- und Familienspiele zur Veröffentlichungsreife bringen konnte.

Ich denke, Spieleautor wird man durch die eigene Leidenschaft fürs Spielen und Spieleerfinden, ein gewisses Durchhaltevermögen beim Entwickeln und Anbieten, sowie viel Geduld für alle Entwicklungsprozesse bis zu einer spürbaren Reife.

Die Redaktion: Um was geht es in Glupschgeister?

Jens-Peter Schliemann: Du schaust ins Wasser und entdeckst Fische. Aber du musst ziemlich genau ins Wasser schauen, da dein Blick etwas verzerrt wird. Zudem sind sich die Fische ähnlich und können sich auch noch gut verstecken.

Womöglich kennst du dieses Erlebnis. Du schaust von einer Brücke in einen See oder Bach und plötzlich entdeckst du Fische im Wasser. Dann versuchst du, die Fische genauer zu erkennen. Ist es eine Forelle oder ein Karpfen? Siehst du unten am Grund sogar einen Aal?

In ‚Glupschgeister‘ schaust du in mehrere blaue Linsen, welche dir den Blick in den See erlauben. In jeder Linse kannst du Fische sehen. 6 verschiedene Fische können gefangen werden. Aber nur einen der 6 suchen alle. Wer in einer Linse den Fisch entdeckt, markiert die Linse für sich, bis alle ihre Linse gewählt haben.

Nun geht es reihum ans Fischen! Du öffnest die Linse und darfst alle passenden Fische herausnehmen. Aber aufgepasst, dass dir kein Fisch dabei wegflutscht!

Die Redaktion: Wie lange arbeitet ein Spieleautor an einem Spieltitel? Sind Sie mit dem Spiel zu Kosmos gegangen und diese haben gleich die Maschinen angeworfen?

Jens-Peter Schliemann: Mittlerweile nimmt die Arbeit an meinen Spielen im Vergleich zur redaktionellen Bearbeitungszeit im Verlag und der Lebensdauer am Markt kurioserweise die längste Zeit ein. Mit Bernhard habe ich die erste Idee eines ‚in den See gucken‘-Spiels schon 2005 entwickelt. Seitdem haben wir 4 grundsätzlich verschiedene ‚in den See gucken‘-Spiele entwickelt und angeboten.

Da das ‚in den See gucken‘ eher ein ruhiges Spielelement ist, haben wir bei ‚Glupschgeister‘ mit der gleichzeitigen Jagd nach der besten Linse kompositorisch der ‚in den See gucken‘-Idee ein spielerisch reizvolles Element passend hinzugesetzt.

Elisabeth Sieber-Baskal ist Produktmanagerin für Kinderspiele bei Kosmos und war im Präsentationstermin schon begeistert. Die Kinderspielredaktion hat sich dann sehr schnell für ‚Glupschgeister‘ entschieden. In gewissem Sinne hat Elisabeth tatsächlich gleich die Maschinen angeworfen, da sehr bald der Prototyp für die Herstellung geplant wurde.

Gemeinsam haben wir auch noch ein Drehelement, welches wir in einem der anderen Prototypen hatten, in dieses Spiel eingebaut, was immer auch kompositorisches Nachsteuern einiger Regelungen bedeutet. Zudem wurde die Entwicklung der Plastiklinsen, welche in unserem Prototypen noch Glaslinsen waren, sehr akribisch und spielerisch gut passend realisiert.

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Die Redaktion: Sind Spiele für Kinder schwerer zu entwickeln als Spiele für Erwachsene?

Jens-Peter Schliemann: Ich persönlich empfinde die Kinderspielentwicklung kreativ herausfordernder, da das Genre noch nicht so festgelegt ist und besondere Materialien oft eine Rolle spielen. Ich betrete mit einer Kinderspielidee oft kreatives Neuland und versuche, mich durch viel Ausprobieren und Forschen damit vertraut zu machen.

Für die Entwicklung von Kinderspielen muss man ein gewisses industriedesignerisches Talent entwickeln. Oft muss ich länger nach passend funktionierenden Materialien suchen oder diese explizit entwickeln.

Neben der Materialumsetzung ist es immer auch herausfordernd, hierfür zu einem spielerischen Setting mit einfachen und eleganten Regeln zu gelangen, welches Kinder intuitiv auch so spielen möchten.

Oft bleibt es nicht bei einem zu bauenden Prototypen, so dass man als Kinderspielautor sicherlich eine hohe Bereitschaft für die Umsetzung von Spielmodellen mitbringen muss.

In Erwachsenenspielen kann es schwerer sein, eine Vielzahl von Parametern passend zueinander zu optimieren, allerdings ist es bei Kinderspielen oftmals ebenso eine längere Suche, zu einfachen Regeln zu gelangen, die erst dann, wenn sie geschaffen sind, wie banal daherkommen!

Die Redaktion: Muss ein Spieleautor ständig einen Schreibblock mit sich führen, um schnell seine Ideen aufzuschreiben?

Jens-Peter Schliemann: Jein. Ideen sind natürlich wichtig, insbesondere die Ausgangsidee. Aber für einen Kreativen ist es normal, ständig Ideen zu haben. Es ist für einen Spieleautor nicht möglich, alle seine Ideen zu einem Spiel zu entwickeln.

Jedes Spiel ist eine Summe von Ideen, manche davon sind offensichtlich und wirken wie die tragende Idee und viele andere Ideen sind kleiner oder sogar unsichtbar geworden, weil sie wie selbstverständlich daherkommen. Diese können aber im Prozess kompositorisch viel entscheidender sein.

Eigentlich ist ein Spieleautor ständig am Zusammenfügen oder der Suche danach. Dies ist die eigentliche Aufgabe, mit der ich ständig beschäftigt bin. Ich muss aus den vielen Ideen die besseren Ideen für die aktuelle Entwicklung herausfiltern können, damit sich das Spiel kompositorisch immer mehr fügt.

Dies bedarf einer permanenten Konzentration und Fokussierung auf Problemlagen des aktuellen Prototyps. Manchmal ist dann der Schreibblock wichtig, um Überlegungen auszuprobieren, Konstellationen zu verändern und Ergebnisse zu dokumentieren.

Die Redaktion: Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, wenn diese auch gern Spieleautor werden wollen?

Jens-Peter Schliemann: Wie in jedem Beruf sollte man sich sowie seine Fähigkeiten und Umsetzungen möglichst realistisch einschätzen. Man kann Spieleautor sein, indem man künstlerisch einen eigenen Stil entwickeln möchte und hierzu weiß, dass dies seine Zeit braucht.

Allerdings gibt der Markt womöglich nicht jedem Autorenstil die Chance zur Veröffentlichung. Deshalb ist womöglich auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse des Marktes nötig, welche auch bedeuten kann, dass man damit seinen Stil finden kann.

Zwischen der eigenen Arbeit am Spiel und einer Veröffentlichung können Jahre liegen. Deshalb sollte man als Newcomer mit einer längeren Aufbauarbeit rechnen.

Auch nach ersten Erfolgen können anschließend wieder Durststrecken entstehen. Deshalb sollte jeder Spieleautor sich überlegen, inwieweit er andere finanzielle Standbeine hat, um die Spieleautorentätigkeit leben zu können.

Sinnvoll ist es, sich mit anderen Spieleautoren und Aktiven der Branche zu vernetzen. Alleine wird die komplexe Tätigkeit oft zu eigenbrödlerisch und irgendwann fehlt die Motivation, die langen Strecken bis zur Marktreife durchzuhalten.

Ein reger Austausch hingegen gibt immer wieder kreative Impulse für die eigenen Projekte und lässt einiges realistischer sehen bzw. erklärt branchenübliches Verhalten.

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Die Redaktion: Ist Spieleautor ein Lehrberuf?

Jens-Peter Schliemann: Seit 5 Jahren bin ich neben meiner Spieleautorentätigkeit Dozent am Cologne Game Lab. Dort lernen Studenten Computerspielentwicklung. Jedes Semester gebe ich einen Workshop über 5 Tage zu Aspekten der Brettspielentwicklung.

Im Workshop lasse ich die Studenten schon am ersten Tag ein Spiel entwerfen, an dem sie bis zum Workshopende weiterentwickeln. So lernen sie einen zeitlichen Veränderungsprozess kennen. Dabei teile ich ihnen Erfahrungen von mir mit.

Ich begreife mich eher als Coach der Studenten, der ihre Konkreterfahrungen als Erfahrender begleitet und gegebenenfalls kommentieren kann. Letztlich kann ich sie als Kreative nur dazu ermuntern, permanent selbständig und eigenverantwortlich kreative Entscheidungen für einen möglichst guten Veränderungsprozess zu fällen.

Ähnlich wie angehende freischaffende Künstler Kunst studieren, könnte Spieleautor ein Studienfach sein, allerdings bin ich skeptisch, Spieleautor wie einen klassischen Lehrberuf bzw. Ausbildungsberuf zu sehen.

Die Redaktion: Wie sind Sie zum Spielen gekommen? Wurde bei Ihnen zu Hause viel gespielt?

Jens-Peter Schliemann: Ich kann mich nicht mehr an mein erstes Spiel erinnern, aber daran, dass ich gerne gewinnen wollte.

Zum Geburtstag und zu Weihnachten habe ich immer ein Spiel bekommen. Dies war mir auch das wichtigste Geschenk. Ohne ein solches Geschenk wäre ich wohl so sauer gewesen, dass ich die Veranstaltung gesprengt hätte! Allerdings hatte ich oft das Gefühl, dass zu wenig aus der Schachtel herauskommt.

Ich habe mir schon damals viel materialintensivere Spiele gewünscht.

Mein Vater hat kaum gespielt – meine Mutter schon aber eher die gängingen Spiele – und meine Schwester war auch nicht so wild auf Spiele wie ich!

Die Redaktion: An was können Sie sich dabei erinnern? Was war Ihnen aus heutiger Sicht dabei wichtig? Und was haben Sie als Kind mit Ihren Eltern gespielt?

Jens-Peter Schliemann: Zuhause wurde viel Rommee gespielt – auch wenn Verwandtschaft kam. Dies war dann oft ein schönes, gemeinschaftliches Ritual.

Mit meinem Opa habe ich viel gekniffelt. Gerade durchs gemeinsame Spielen war das Verhältnis zu meinem Opa sehr eng. Ich als ehrgeiziger Junge habe meinem Opa als ruhigen und lieben älteren Mann immer gesagt, welche Würfel er am besten jetzt rauslegt, was er dann gemacht hat.

Wichtig war die gemeinsam verbrachte Zeit von uns beiden. Ich denke, gerade Großeltern und Enkel können familiäre Liebe mittels Gesellschaftspielen sehr intensiv miteinander leben. Oft erinnere ich mich beim Entwickeln von Kinderspielen daran zurück!

Mit einem Jugendfreund habe ich häufig die Nachmittage nach der Schule brettspielend verbracht. Meist hatten wir riesige Landkarten, die nur auf den Kinderzimmerboden passten und haben dort Risiko-artig Armeen hin- und hergeschoben oder historische Themen simuliert.

Mein Vater war Ingenieur und hätte es wohl schöner gefunden, wenn ich mit Fischer-Technik gespielt hätte. Ich konnte damit aber nicht soviel anfangen. Wahrscheinlich fehlte mir da die spielerische Dramaturgie.

So erkläre ich mir zumindest mein erwachsenenes Spieleerfinder-Bedürfnis, typische Spielzeugelemente wie z.B. eine Kugelbahn oder Glow-in-the-Dark-Elemente mit einem spielerischen Kontext zu verknüpfen.

Bild Kosmos, Herr Schliemann (links) und Herr Weber (rechts)
Bild Kosmos, Herr Schliemann (links) und Herr Weber (rechts)

Die Redaktion: Sie sind Mathematiker, wie auch einige Ihrer Kollegen. Ist dies ein Vorteil für die Entwicklung von Spielen, denn Mathematiker gehen ja logisch heran, jedenfalls wird dies immer wieder behauptet?

Jens-Peter Schliemann: Es gibt Vor- und Nachteile der Ausbildung als Mathematiker, wobei die Vorteile überwiegen.

Als Mathematiker bin ich es gewohnt, in sich geschlossene Kompositionen zu schaffen. Zudem möchte ich Phänomene auf möglichst einfache Art und Weise darstellen. Mathematik will eigentlich mit seinen mathematischen Modellen dasselbe – und für Mathematiker sind die Aha-Momente des Verstehens von Phänomenen das Spannende.

In der Zeit nach dem Studium musste ich mich erst einmal von der Mathematik wieder emanzipieren und ein Gefühl dafür finden, wie Otto-Normal-Menschen Strukturen wahrnehmen.

Vorteilhaft finde ich, dass ich aufgrund meiner mathematischen Ausbildung virtuos mit Strukturen umgehen kann. Wo andere oft beschränkt sind, weil sie nur wenige Strukturen kennen, kann ich auf einen ganz anderen Fundus zurückgreifen oder mich ransetzen und passende Strukturen mit mathematischen Handwerksmitteln entwickeln.

Meine Herangehensweise beim Spielentwickeln ist eher kreativ suchend und ergebnisoffen. Bei der Entwicklung von ‚Nacht der Magier‘ habe ich erlebt, wie die Aufgabe ‚ein Spiel im Dunkeln mit selbstleuchtenden Materialen entwickeln‘ größer war als ich selber.

Das heißt, wir standen oft wie ein ‚Ochs vorm Berge‘ und die herausfordernde Aufgabe hat uns nur den nächsten Schritt gewiesen. Als wir über diesen Berg waren, erkannten wir den nächsten Berg, den es zu bezwingen gab!

Mittlerweile habe ich eine gesundes Maß zwischen improvisierender Herangehensweise und analytischer Vorwegplanung. Ich kann es gut genießen, wenn sich im Prozess eine Problemlage ergibt, die sich durch das Befeuern mit Mathematik lösen lässt.

Letztlich sehe ich das Potential der Mathematik bei meinen Spielentwicklungen in dem Herausarbeiten von Phänomenen sowie einer eleganten Komposition. Beides ist aber im schlußendlichen Spiel für den Laien eher unsichtbar oder wirkt wie selbstverständlich. Aber ich weiß dann trotzdem, was es im kreativen Prozess gebraucht hat, um dort hinzukommen!

Die Redaktion: In Deutschland wird schon immer sehr viel gespielt. Wie können Eltern dabei das richtige Spiel für ihre Kinder finden?

Jens-Peter Schliemann: Mittlerweile gibt es mehr als drei gute Kinderspiele im Jahrgang und so viele verschiedene Richtungen an Kinderspielen, dass es sich lohnt, etwas Zeit in die Suche zu stecken und nicht einfach nur Auszeichnungen zu vertrauen.

Sicherlich ist der Informationsgrad im Internet unschlagbar. Wem das zu aufwändig ist, der sollte es einfach mit einer Beratung im Fachgeschäft versuchen. Oft genug sind dort sehr engagierte Leute. Mit gezielten Fragen kann sicher sehr schnell ein potentiell interessantes Spiel fürs Kind herausgefunden werden.

Die Redaktion: Was planen Sie für die Zukunft?

Jens-Peter Schliemann: Meine vielen Projekte weiter voranbringen. Aktuell finde ich es interessant, mich vermehrt international weiter umzuschauen.

Nach meiner Veröffentlichung bei Mattel von ‚Das Geheimnis der Zauberer‘ tun sich für mich weitere Möglichkeiten auf, die sich aber erst noch entsprechend konkretisieren müssen.

Wir bedanken uns recht herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

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Test Glupschgeister
Autor
Spieleautorenzunft

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Das Magazin wurde im Mai 2016 gestartet, trotzdem kommen wir selber auf fast 15 Jahre Spielerfahrungen zurückblicken.