Interview mit Autorin Kirsten Boie

Foto © Indra Ohlemutz

Sehr geehrte Frau Kirsten Boie,

Was hat Sie dazu motiviert, die Thabo-Bücher zu schreiben?

Kirsten Boie: Kinderbücher über Afrika sind in der Regel Problembücher, sie schildern die traurige  Lebenssituation von Kindern dort und hinterlassen bei den Lesern ein Gefühl von Mitleid – das ist sicher gewollt und auch berechtigt. Andererseits ist Mitleid immer ein Gefühl von  oben nach unten, solche Bücher fördern bei unseren Kindern leicht auch ein Überlegenheitsgefühl gegenüber Afrika, das wollte ich gerne durchbrechen.

Aber viele Jahre lang habe ich gedacht, ich hätte kein Recht, ein Buch zu schreiben, das in  Afrika spielt, egal wie viele Ideen ich hatte und selbst dann nicht, wenn ich mich in der  Geschichte auf den kleinen Bereich beschränken würde – die abgelegene ländliche Region Shiselweni in Eswatini – den ich seit vielen Jahren durch das Engagement meine Möwenweg-Stiftung sehr, sehr gut kenne und in dem ich Hunderte von Kindern kennengelernt habe.

Ich war überzeugt, Kinderbücher über Afrika müssten aus Afrika selbst zu unseren Kindern kommen. Nachdem ich inzwischen aber weiß, dass das zumindest in nächster Zeit kaum passieren wird, gleichzeitig aber wichtig finde, dass unsere Kinder Afrika nicht immer nur als Kontinent der Trostlosigkeit erleben, habe ich mich dann an die Arbeit  gemacht – und ich habe ja das große Glück, dass ich mich in Eswatini selbst bei allen Fragen beraten lassen kann.

In den Thabo-Geschichten wollte ich afrikanische Kinder einmal nicht primär als Opfer, sondern als stark, als clever, als witzig zeigen. Denn das ist es ja gerade, was mich bei meinen Aufenthalten in Eswatini immer wieder so beeindruckt: Wie großartig Kinder, die unter Bedingungen leben müssen, die wir uns hier nicht einmal vorstellen können, ihr Leben meistern.

Ich wollte sie zeigen als Kinder, mit denen sich die Leser identifizieren mögen, die sie sich vielleicht auch als Freunde wünschen würden. Kinderpost zeigt mir, dass das gut funktioniert. Obwohl die Bücher die schwierigeLebenssituation – Aids, Armut, Hunger, Tod der Eltern – nicht verschweigen.

Die Redaktion: Wie gefällt Ihnen der Film? Haben Sie sich Thabo so vorgestellt, als Sie die Bücher geschrieben haben?

Kirsten Boie: Ich bin mit ein bisschen Sorge ins erste Viewing gegangen – ich vermute, das geht allen Autor:innen bei der Verfilmung ihrer Stoffe so! Ich hatte ja vorher das Set nicht besuchen können, obwohl ich mich ohnehin gerade für unser Projekt LITSEMBA wenige Kilometer entfernt in eSwatini aufgehalten habe – aber dann hat sich eine unserer Nurses positiv auf  Corona getestet, und damit wurde mein Besuch bei den Dreharbeiten unmöglich.

Ich hatte also keine Vorstellung vom Film. Aber als ich ihn jetzt gesehen habe, war ich tatsächlich regelrecht glücklich, weil ich meine Geschichte, vor allem aber ihre Intention in dem Film wunderbar umgesetzt finde.

Der Film ist wirklich sehr authentisch, weil nichts nachgebaut, sondern nur an Originalschauplätzen gedreht wurde, die Landschaft, auch die Dörfer sind genau die, die ich im Kopf hatte und so gut kenne.

Bild Oetinger

Unsere nächsten Kinderbetreuungshäuser liegen nur wenige Kilometer entfernt! Die Schauspieler:innen, vor allem die Kinder, sind großartig. Ich denke, der Film gibt neben der Kriminalgeschichte auch einen kleinen realistischen Einblick in das Leben in dieser Region Afrikas, auch in das Problem der Nashornwilderei, und vor allem: er ermöglicht deutschen Kindern, sich mit den jungen afrikanischen Detektiven zu identifizieren.

Die Redaktion: Wie kam es zu Ihrem Engagement in Eswatini?

Kirsten Boie: 2007 habe ich den Deutschen Jugendliteraturpreis für mein Gesamtwerk erhalten, in derselben Woche erschien in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ ein Artikel „Das Land der Waisen“, in dem es darum ging, dass in Eswatini (damals noch Swasiland) durch AIDS über 50% der Kinder zu Waisen geworden wären – und der von einem Projekt zu ihrer Betreuung berichtete.

Da ich meine Preisgelder sowieso immer gespendet habe, gingen nun diese an das Waisenprojekt. Anfang 2010 bin ich zum ersten Mal selbst nach Eswatini gereist und habe endgültig gesehen, wie dringend nötig dieses Projekt war, wie viel es bewirken und wie sinnvoll es noch gestärkt werden konnte.

Nachdem 2014 der damalige Trägerverein ausgestiegen war, haben meine MöwenwegStiftung und die Thomas-Engel-Stiftung in Fulda das seitdem enorm gewachsene Projekt  übernommen.

Seit einigen Jahren auch die Kindernothilfe engagiert. Andere internationale  Organisationen beraten uns bei Bedarf. Besonders freut uns, dass unser Projekt LITSEMBA (siSwati für Hoffnung) durch die Menschen vor Ort so viel Unterstützung und Zuspruch findet.

Die Redaktion: Was leistet Ihre Möwenweg-Stiftung dort konkret?

Kirsten Boie: Auf dem Höhepunkt der AIDS-Pandemie ist in Eswatini selbst die Idee der sogenannten NCPs, der Neighbourhood Carepoints (Kinderbetreuungshäuser) entstanden, zunächst noch ohne Gebäude, nur unter Bäumen: Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, wurden hier ehrenamtlich von Frauen aus der Community betreut und bekamen eine Mahlzeit täglich.

Hier hat nun unser Projekt LITSEMBA, das derzeit von zwölf einheimischen Mitarbeitenden geführt wird, Gebäude errichtet, die komplexe Logistik für die Versorgung von mehr als 3.000 Kindern an inzwischen 104 NCPs aufgebaut und bietet regelmäßig Fortbildungen und Schulungen vor Ort für die Betreuerinnen an. Es gibt inzwischen Bildungsspielzeug, Bücher, Vorschulbildung, warme Kleidung für den Winter, Wassertanks; zudem zwei medizinische Teams, die die NCPs reihum besuchen und dann dort von den kranken Mitgliedern der gesamten Community aufgesucht werden, da die medizinische Infrastruktur im Land schwierig ist.

Auch HIV-Tests werden durchgeführt.

Zudem hat LITSEMBA Frauenkooperativen für die Betreuerinnen aufgebaut, schult sie fachlich und in der Buchhaltung, und plötzlich verdienen diese Frauen ihr eigenes Geld und ihr Status in den Communities verändert sich dadurch merkbar.

All das ist in den letzten Jahren entstanden, und noch immer entwickelt sich das Projekt weiter. Bei unseren regelmäßigen Aufenthalten besprechen mein Mann und ich mit den fest angestellten einheimischen Mitarbeitenden und den Ehrenamtlichen, mit Ministerien und auch großen Hilfsorganisationen wie die Notwendigkeiten dort gesehen werden, und versuchen dann gemeinsam, daran zu arbeiten.

Wir sind immer wieder glücklich darüber, was so durch ihre Kenntnis der Lebensbedingungen und der Kultur vor Ort und unsere finanzielle  Unterstützung entstehen kann.

Inzwischen ist auch die AIDS-Situation im Land zum Glück nicht mehr so dramatisch und auch Corona scheint überstanden: Zwar gelingt es mir trotz intensiver Versuche nicht, neue offizielle und belastbare Zahlen zu bekommen (die zuletzt von Regierung und UNICEF veröffentlichten stammen aus 2015, bei NERCHA, dem National Emergency Response Centre on HIV and AIDS, findet man Schätzungen für 2020 und Prognosen für 2023) aber  die Tests unseres medizinischen Teams fallen jetzt zum größten Teil negativ aus, und an den 104 Kinderbetreuungshäusern sind inzwischen nur noch 10 – 20% der Kinder Waisen.

Auch die anderen Kinder leben aber in extremer Armut und die Mahlzeit an „unseren“ NCPs ist für viele die einzige des Tages. Wir machen also unbedingt weiter!

Zum Buch https://www.oetinger.de/buch/thabo-detektiv-gentleman-1-der-nashorn-fall/9783751202756

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