
Übernimmt man automatisch die Rollen der eigenen Eltern? Und wird man es denen gleichtun? Nicolas Mathieu ist französischer Autor, der sich all diese Fragen in seinem neuen Werk stellt.
Für diesen Roman hat er den Prix Goncourt, einen der ältesten Literaturpreise, 2018 erhalten.
Muss man das Leben seiner Eltern wiederholen? Sieht man schon an den Erwachsenen, wie später ihre Kinder leben werden? Der Autor wurde selber geprägt, aber in dem Fall durch das, was sein Umfeld anbetrifft.
Er wuchs in Lothringen auf und hier gab es in den 90er Jahren einen großen Umbruch. Der Bergbau ist hier komplett zusammengebrochen.
Steinkohle, Eisenerz und die Hochöfen sind hier auf einmal verschwunden. Die gesamte Stahlkocherei kam wie aus dem Nichts zum Erliegen.
Hohe Arbeitslosigkeit waren die Auswirkungen. Und in diese Gegend führt einen der Roman. Auf einmal wurde aus einem Kumpel oder Stahlkocher nur noch ein Tagelöhner.
Nur so hatte man die Chance, seine Familie zu ernähren. Zwar ist die Stadt in seinem Roman fiktiv, aber man kann diese Handlung automatisch auf jeden Ort dieser Region spiegeln.
„Am Ende blieben nur rostige Umrisse, eine Mauer, ein Tor mit einem kleinen Vorhängeschloss. Ein Politiker hatte im Wahlkampf vorgeschlagen, das Gelände zu einem Themenpark umzugestalten. Und die Kinder zerschossen die Öfen mit ihren Steinschleudern“ (Roman).
Das Besondere an seinem Roman ist, dass er gezielt reportagenhafte Beobachtungen eingebaut hat. Er beobachtet so die Gruppe junger Leute, wie diese sich und ihr Umfeld ändern.
Diese jungen Menschen stehen auf amerikanische Musik, Kiffen und fahren mit ihrem Zweirad durch die Gegend. Wie jeder Teenager in dieser Phase träumt er von der großen Liebe und dem erste Mal. Gekonnt setzt der Autor dabei sein Augenmerk auf den 14-jährigen Anthony.
Und er hat den Vorteil, er kennt diese Gegend, er kennt die Probleme der Menschen und er kennt ihre Sprache. So wirkt nichts in dieser Geschichte gekünzelt.
Nein, sie ist ehrlich, zwar an vielen Stellen etwas ruppig, aber das ist so hier, bei Menschen, die keine Zukunft sehen.

Der Autor Mathieu ist ehrlich und nirgends gekünzelt. In einem Zeitfenster von sechs Jahren passiert hier viel. Ehen gehen kaputt und der Vater von Anthony bekommt es mit dem Gesetz zu tun, weil er einen Dealer verprügelte.
Trotzdem kann der Vater diese Scham, alles zu verlieren, nicht kompensieren, so dass er zum Schluss im See ertrinkt.
Die jungen Leute erleben ihren ersten Liebeskummer und lernen auch die ersten Enttäuschungen kennen. Viele der Mädchen zieht es hinaus, sie wollen studieren und nicht hier verkommen. Anthony treibt es zur Armee.
Aber weil er sich verletzt hat, wird er entlassen. Und da Jobs in dieser Zeit nicht so verbreitet sind, kommt er bei einer Zeitarbeitsfirma unter Vertrag.
Fazit
Es ist eine Kritik an dieser Gesellschaft, die gnadenlos mit Verlierern umgeht. In dem Fall hat durch das Wegbrechen eines kompletten Industriezweiges eine gesamte Region verloren.
Nicolas Mathieu ist dabei ein guter Beobachter, der alles geschickt in Worte fassen kann. In dem Fall haben die Kinder keine Chance, den Kreislauf zu verlassen.
Somit versuchen sie, das Leben ihrer Eltern einfach zu kopieren, aber ausbrechen wollen die wenigsten, auch wenn sie die Chance hätten, lassen sie diese einfach verstreichen. Somit fehlt ihnen die Freiheit.
Die Geschichte fesselt von Anfang an und sie ist kritisch, denn das, was in Frankreich in den 90-ern passiert ist, ist auch hier passiert.
Der Ruhrpott oder auch die neuen Bundesländer müssen da bald auch durch.
Es ist eine feine, keine plumpe Kritik an unserer Gesellschaft, der man sich nicht entziehen kann.
Barnaby Metschurat schafft es, diese Geschichte einfühlsam und sehr wandelfähig zu lesen.
- Verlag DAV
- Gelesen Barnaby Metschurat