Interview mit Tim Koller

Bild Tim Koller

Zehn Jahre nach der ersten Aufführung des Kindertheaterstücks „Capt’n Diego und die wasserwilde Reise zum Zuckerhut“ bringt ihr Schöpfer, der Hamburger Schauspieler Tim Koller, nun eine Hörspielversion heraus.

Zu den Sprechern zählt auch NDR-Stimme Ulf Ansorge. Unterstützt wird das Projekt, das als Crowdfunding am 14. März 2022 auf Startnext startet, auch von der Hamburg Kreativgesellschaft.

Koller über die Situation von Schauspielern während Corona, Krisen als Ideen- Katalysator und warum Kultur in die Kinderzimmer muss.

Die Redaktion: Tim, Du stehst seitdem Du 13 Jahre alt bist auf der Bühne. Wie kam es dazu, dass Du ein Theaterstück entwickelt hast?

Tim Koller: Ich habe mir 2012 den Fuß gebrochen und konnte nicht spielen – und zwar am ersten Probentag in Bremen. Ich lag frustriert mit meinem Gipsfuß auf dem Sofa.

Da kam mir die Idee, mich mit Theatermanagement selbstständig zu machen. Ich habe direkt begonnen und einen Businessplan geschrieben. Meine Idee war, Theaterstücke für Locations zu entwickeln, die gern Kultur machen würden, aber noch nicht genau wissen wie.

Mein Traum war und ist es bis heute, für die unterschiedlichsten Locations Kindertheaterstücke zu schreiben – von den Michel-Katakomben bis hin zur Speicherstadt. Noch bevor mein Plan fertig geschrieben war, kam dann die Cap San Diego auf mich zu.

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Die Redaktion: Wie hast Du Dich an die neue Aufgabe herangetastet?

Tim Koller: Ich habe ein Team zusammengestellt, einen Illustrator gefunden und auf einer Geschichte rumgedacht. Nicki und das Schwein standen dann schnell. Ebenso der Rahmen: Es sollte ein maximal 60 minütiges Stück für zwei Personen sein, wertig und pädagogisch.

Es sollte schon die Kleinsten begeistern und mitnehmen, während sie etwas über die Seefahrt, den Hafen und die Geschichte der Cap San Diego lernen. Dann folgte die Arbeit am Bühnenbild und die Suche nach einem Komponisten für die 3 Songs.

Die Redaktion: Capt’n Diego und die wasserwilde Reise zum Zuckerhut lief 5 Jahre lang im Sommer 50-mal – mehr als 3.500 Kinder und Erwachsene haben die Abenteuer von Nicki und Seeschwein Eberhard verfolgt. Was ist das Spannende an dem Stück?

Tim Koller: Ja, wir haben bis zu zweimal am Tag, an bis zu sieben Tagen in der Woche über 100 Plätze gefüllt. Viele Kindergärten kamen aus ganz Norddeutschland zu uns. Zum einen ist die tolle Location ein Faktor.

Die Kinder klettern in die Ladeluke 4, den Bauch eines Schiffes. Das finden sie natürlich super aufregend. Dazu war es das einzige Kindertheaterstück im Hamburger Hafen und dazu auch schon für 4-Jährige geeignet. Vor allem aber ist es der Mitmach- Charakter.

Die Kinder werden in die Handlung eingebunden, Wellen schlagen zum Beispiel in Form von wogender, blauer Ballonseide über ihnen zusammen. Wir haben oft das Feedback von Eltern und Erziehern bekommen, dass es etwas ganz Besonderes ist, dass die Steppkes 50 Minuten am Stück aufmerksam zuhören, bei der Sache bleiben und mit Freude etwas lernen.

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Die Redaktion: Wann kam Dir die Idee, das Stück als Hörspiel zu interpretieren?

Tim Koller: 2017 habe ich zwei Jahre pausiert wegen einer Krebserkrankung. Und als ich dann mit der neuen Geschäftsführerin der Cap San Diego wieder kulturell in See stechen wollte, kam Corona.

Ich fühle mich aber den Figuren und der schönen Story weiterhin sehr verbunden und wollte sie einfach wieder zum Leben erwecken. Ich dachte: Wie wunderbar wäre es, das Theaterstück und damit auch etwas Kultur in die Kinderzimmer zu bringen! Die Leute machen Home-Office, ich mache Home-Theater für Kinder.

Die Redaktion: „Capt ́n Diego und die wasserwilde Reise zum Zuckerhut“ ist ein Mitmach-Hörspiel. Was heißt das?

Tim Koller: Ja, genau, wir wollten den Charakter der Bühnenversion erhalten. Der Erzähler animiert die kleinen Zuhörerinnen und Zuhörer zum Beispiel dazu, wie ein Löwe zu brüllen oder Kleidung von Papa zu holen, um sich wie ein Kapitän anzuziehen.

Die Redaktion: Wer macht alles mit bei dem Projekt?

Tim Koller: Der NDR-Sprecher Ulf Ansorge, Moderator bei NDR 90,3 und dem NDR Hamburg Journal, ist ein Freund von mir und spricht den Erzähler. Ich selbst leihe meine Stimme Schwein Eberhard.

Die Tochter einer Freundin von mir, die 11-Jährige Benita Säck, die schon eine professionelle Synchronsprecherin ist und auch Rollen bei der Hamburger Staatsoper übernommen hat, spricht Nicki. Ein Kollege, Götz Fuhrmann, ist Capt ́n Diego. Und dann gibt es da noch einige andere kleinere Rollen.

Die Redaktion: Du hast zwei Nichten, einen Neffen, 3 Patenkinder und lebst auch in einer Art Kommune mit vielen Kindern. Wie geht es den Kleinsten seit der Pandemie aus Deiner Sicht? Was beobachtest Du?

Tim Koller: Ja, wir wohnen, wie ich finde, sehr sozialromantisch in einer Kommune mit Innenhof, die sich aus drei Kutscherhäusern und einem Vorderhaus zusammensetzt. Wenn nicht gerade Corona ist, sind wir immer von Kindern umgeben, was ich sehr genieße.

In den letzten Jahren hat sich das durch die Pandemie sehr verändert. Für Stadtkinder sind die Einschränkungen einschneidend, sie sehen viel weniger Menschen und können noch nicht verstehen, was vor sich geht.

Ein Knirps, er geht in die zweite Klasse, kam gerade auf mich zu und sagte, er möchte unbedingt ganz schnell geimpft werden, weil er nicht mehr ausgeschlossen werden will. Ich komme ja vom Land, bin in Bayern aufgewachsen. Da bekommen die Kleinsten es nicht so sehr mit im Alltag, denn sie sind den ganzen Tag draußen, spielen mit den Nachbarskindern.

Großstadtkinder werden mehr zu Stubenhockern.

Die Redaktion: Denkst Du Kinder brauchen in dieser Zeit mehr kreativen Input und Unterhaltung?

Tim Koller: Es sind definitiv mehr Stunden zu füllen. Eltern sind verständlicherweise auch froh, wenn ihre Kinder sich auch mal selbst beschäftigen. Zumindest in meinem Umfeld und aus meiner Erfahrung aus dem Kindertheater weiß ich, dass sich die Mehrheit der Kinder nur noch schwer konzentrieren kann.

Ich sehe das Niveau der gängigen Kinderunterhaltung aber sehr kritisch – sei es, weil sich die Inhalte und Medien genau auf diese kurze Aufmerksamkeitsspanne einstellen oder diese auch verursachen. Sowieso bin ich gegen Bildschirmzeit bei den Kleinsten. Hörspiele sind aus meiner Sicht die bessere Wahl und zählen zu einer qualitativen Unterhaltung für Kinder, die ihre Entwicklung fördert.

Aber auch hier gibt es viel Schrilles und Plattes. Wir sollten mehr hinterfragen, was wir dem Nachwuchs an die Hand geben und bewusster kaufen und schenken. Wenn ich Kindern etwas schenke, dann gucke ich zum Beispiel immer darauf, dass es nachhaltig ist und Sinn macht.

Bild Tim Koller

Dieser Kleinkram für zehn Euro, der nach ein paar Minuten in der Ecke liegt, ist mir ein Graus. Genauso ist es mit Medien und Entertainment.

Ich freue mich, wenn wir mit „Capt ́n Diego und die wasserwilde Reise zum Zuckerhut“ etwas dazu beitragen, dass Kindern durchdachte und pädagogisch wertvolle Geschichten zur Verfügung stehen, die sie ernst nehmen.

Die Redaktion: Für welche Altersspanne ist das Mitmach-Hörspiel „Capt ́n Diego und die wasserwilde Reise zum Zuckerhut“ gedacht?

Tim Koller: Das Kindertheaterstück war für Kinder ab vier Jahren und ungefähr bis acht Jahre. So ist auch die Hörspiel-Version angelegt.

Die Redaktion: Wo wird das Mitmach-Hörspiel erhältlich sein?

Tim Koller: Wir werden im ersten Rutsch 4000 CDs produzieren, weil diese einfach immer noch gern genommen und verschenkt werden. Aber es gibt auch die Möglichkeit, das Hörspiel herunterzuladen.

Die CD kostet dann 13,50 Euro. Erhältlich ist sie im ersten Schritt im Souvenirshop und im Online-Shop der Cap San Diego. Für den gleichen Preis wird es auch ein Booklet mit QR-Code zu kaufen geben sowie den QR-Code allein für 10 Euro.

Die Redaktion: Wie geht es mit Deinem beliebten Stück Cavequeen weiter?

Tim Koller: Ich bange um jeden Termin und hoffe, dass die wenigen in diesem Jahr stattfinden und Corona uns keinen weiteren Strich durch die Rechnung macht. Toi Toi Toi.

Die Redaktion: Für die Realisierung von „Capt ́n Diego und die wasserwilde Reise zum Zuckerhut“ setzt ihr auf Crowdfunding, warum?

Tim Koller: Ich wollte das Projekt unbedingt ohne Kompromisse und mit einem hohen Maß an Anstand und gegenseitiger Wertschätzung machen. Unter Künstlern ist viel zu viel Gefallen und mal schnell for free am Start. Durch das Crowdfunding und die Kreativgesellschaft soll jeder vernünftig entlohnt werden, während das Risiko für mich abgemindert wird.

Die Redaktion: Wann geht es los und wie macht man mit?

Tim Koller: Das Crowdfunding auf Startnext beginnt am 14. März 2022 und endet am 23. April 2022

Bild Tim Koller

Die Redaktion: Wir sind ein Familienspielmagazin und versuchen Erwachsene dazu zu bewegen, mit ihren Kindern zu spielen, weil dies für die kindliche Entwicklung wichtig ist. Was wurde bei Ihnen zu Hause gespielt?

Tim Koller: Das finde ich toll. Spielen hat so viele Einflüsse auf Kinder, das wird häufig unterschätzt. Bei uns zu Hause in Österreich haben wir am liebsten Topfschlagen und Räuber&Gendarm gespielt. Aber auch Lego stand bei uns ganz hoch im Kurs.

Die Redaktion: Was war Ihnen dabei wichtig, wenn Sie mit Ihren Eltern oder Geschwistern gespielt haben?

Tim Koller: Für mich gab es als Kind nur zwei Möglichkeiten: Entweder zusammen im Garten mit ganz viel Bewegung spielen oder alle zusammen an einem Tisch. Hauptsache, es waren alle zusammen. Beim Spielen war alles andere egal und wurde einfach ausgeblendet, es ging in dem Moment wirklich nur darum.

Die Redaktion: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Persönlichkeiten aus der jetzigen Zeit oder aus der Geschichte zu einem Spiel einzuladen, wer dürfte an Ihrem Tisch Platz nehmen?

Tim Koller: Wenn es um Kinderfiguren geht, dann würde ich mich für Pumuckl oder Kasperl entscheiden. Das wäre sicherlich ein interessantes Spiel-Erlebnis (lacht).

Ganz allgemein betrachtet würde ich gern mit der Kaiserin Elisabeth oder Peter Alexander an einem Tisch zum Spielen sitzen. Am liebsten würde ich aber nochmal mit meiner Oma spielen.

Über Tim Koller

Bereits in der Schule wusste Koller, dass er ans Theater will, stand seit seinem 13. Lebensjahr bei jeder Produktion der Theater AG auf der Bühne. Geboren wurde in Salzburg, wuchs aber in Burghausen in Bayern auf.

Bereits während seines Studiums an der Stella Academy in Hamburg gewann er den Friedrich Schütter Preis für Nachwuchsschauspieler. Immer wieder ist er auch in TV-Produktionen zu sehen, darunter unter anderem „Die Buddenbrooks“, „Die Pfefferkörner“, „Morden im Norden“, „Sturm der Liebe“ und „Der Alte“. Die Bühne bildete aber seit jeher den Schwerpunkt seiner Arbeit.

Mit seinem Mann Stefan und Hündin Sisi, benannt nach der Kaiserin und weil das Nachbarkind nur „Fifi“ sagen konnte, geht der heute 40- Jährige am liebsten in Schwarzenberge spazieren und stillt dort etwas sein Heimweh nach den Bergen und Wäldern in Österreich.

 

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