
Sehr geehrte Frau Imlau,
Sie sagen, dass Sie mit Ihren Bücher einen neue Elterngeneration unterstützen möchten. Was macht diese Elterngeneration anders als die davor?
Nora Imlau: Die heutige Elterngeneration setzt sich sehr intensiv mit den eigenen Mustern und Prägungen auseinander und überlegt genau, was sie ihren eigenen Kindern weitergeben will und was nicht.
Dabei reflektieren Eltern heute kritisch ihre eigenen Erziehungs- und Sozialisationserfahrungen und ergänzen diese Überlegungen um Erkenntnisse der modernen Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung.
Dadurch ist die heutige Elterngeneration extrem reflektiert und informiert, aber häufig auch verunsichert und sehr selbstkritisch im Umgang mit den eigenen vermeintlichen Fehlern. Umso wichtiger ist es, dass Eltern heute lernen, nicht nur liebevoll und sanft mit dem eigenen Nachwuchs zu sein, sondern auch mit sich selbst.
Ihnen sind die Bedürfnisse aller Familienmitglieder ebenso wichtig wie die der Kinder.
Welche konkreten Voraussetzungen braucht es, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse jedes Einzelnen gleichermaßen beachtet und erfüllt werden können?
Nora Imlau: Es ist im Familienleben nicht immer möglich, zu jedem Zeitpunkt alle Bedürfnisse gleichermaßen zu berücksichtigen – aber es sollte eine gesunde Balance der Bedürfnisse herrschen, und dazu gehört es auch, Zumutungen gerecht zu verteilen. Konkret heißt das:
Manchmal muss das Kind einen Moment zurückstecken, manchmal die Eltern, aber grundsätzlich haben alle Bedürfnisse dasselbe Gewicht und werden ernst genommen, gesehen, gewürdigt und so gut es eben geht erfüllt.
Warum ist die enge Bindung zwischen Eltern und Kindern so elementar?
Nora Imlau: Es geht bei der Eltern-Kind-Bindung weniger um die Frage, wie eng sie ist, als um die Frage, wie sicher sie ist. Sichere Bindungserfahrungen im Gepäck zu haben macht Kinder stark und selbstbewusst, und dazu gehört sowohl, dass sie sich ihren Eltern ganz nah fühlen können, als auch, dass sie altersangemessen losgelassen werden und sich freischwimmen dürfen.

Eine sichere Bindung ist geprägt von Zugewandtheit und Verlässlichkeit, in der beide großen menschlichen Grundbedürfnisse Raum finden: Das nach Nähe und emotionaler Verbundenheit und das nach Freiheit und Autonomie.
Ein großes Thema in der Community, bei DRESSLERillustro und in Ihrem Buch ist Selbstfürsorge. Verraten Sie wie man im Alltagschaos gut für sich selbst sorgen kann?
Nora Imlau: Selbstfürsorge beginnt mit einer Haltung der Selbstwertschätzung: Wir müssen nicht nur im Kopf verstehen, sondern auch im Herzen fühlen, dass wir es wert sind, emotional wie körperlich gut versorgt und genährt zu sein.
Das widerspricht der Prägung vieler Menschen, insbesondere vieler Frauen und Mütter, sich selbst und ihre Bedürfnisse immer allen anderen unterzuordnen. Selbstfürsorge als Mutter bedeutet deshalb nicht unbedingt: Ich zuerst! Sie bedeutet vor allem: Ich auch! Meine Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die aller anderen.
Genau, wie ich darauf achte, dass mein Kind genug isst, genug trinkt, genug schläft, genug spielt, genug Liebe und Aufmerksamkeit und Zuneigung erfährt, muss ich auch darauf achten, mir all diese Dinge auch selbst zu schenken.
Denn ich habe sie nicht weniger verdient und brauche sie auch nicht weniger!
- Nora Imlau und Frau Annika
- Goldrichtig- Was uns zusammenhält und trägt
- Verlag Dressler